Türkei
21.12.2022
In 6 Monaten 25 kurdische Journalisten inhaftiert
Allein in den vergangenen sechs Monaten hat das Erdogan-Regime 25 kurdische Journalistinnen und Journalisten eingesperrt. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die türkischen Behörden auf, unverzüglich Anklageschriften vorzulegen oder die Betroffenen freizulassen. Es darf keine weiteren willkürlichen Verhaftungen von Medienschaffenden geben.
In der Türkei kam es dieses Jahr zu zwei Polizeiaktionen, eine im Juni und eine im Oktober. Beim ersten Vorstoß am 8. Juni nahm die Polizei in der südöstlichen Provinz Diyarbakir insgesamt 20 kurdische Medienschaffende fest. Während vier von ihnen mittlerweile wieder auf freiem Fuß sind, sitzen 16 weiterhin hinter Gittern. Noch bevor die Staatsanwaltschaft diesen Beschuldigten eine Anklageschrift vorgelegt hat, wurden in einer zweiten Razzia am 25. Oktober elf weitere kurdische Medienschaffende festgenommen. Zwei von ihnen wurden kurz darauf wieder freigelassen, so dass von ihnen derzeit noch neun im Gefängnis sitzen.
Das bedeutet, im letzten halben Jahr sind 25 kurdische Journalistinnen und Journalisten inhaftiert worden. Insgesamt sitzen in der Türkei aktuell 33 Medienschaffende hinter Gittern.
„Sechs Jahre nach dem Putschversuch und kurz vor den Wahlen nächsten Juni kehrt das türkische Regime zu seiner aggressiven Praxis zurück, Journalistinnen und Journalisten massenhaft ins Gefängnis zu stecken. Die Politik instrumentalisiert die Justiz, um Druck auf die kurdische Gemeinschaft und kurdische Medien auszuüben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Medienschaffende monatelang einzusperren – und das ohne Verurteilung oder Anklage – ist völlig inakzeptabel.“
Mit dieser Verhaftungswelle nähert sich die Türkei wieder den Zeiten von 2016 bis 2018 an. Damals befand sich das Land im Ausnahmezustand. Ein Hintergrund war der Wahlerfolg der pro-kurdischen HDP im Jahr 2015, als die Regierungspartei AKP ihre absolute Mehrheit verlor, woraufhin Präsident Recep Tayyip Erdogan einseitig die Friedensverhandlungen mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK aufkündigte. Die PKK wird von Erdogan ebenso wie von der EU als terroristisch eingestuft. Unter dem Vorwand, gegen Terrorismus vorzugehen, greift die Türkei seit Jahren auch legale Teile der kurdischen Bewegung sowie die Zivilbevölkerung an. Damit einher geht weitreichende Repression gegen kritische Medien, Akademikerinnen und Menschenrechtsorganisationen.
Sechs Monate ohne Anklage
Sechzehn der zwanzig Journalistinnen und Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten und im Juni festgenommen wurden, wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Konkret behaupten die Behörden, die Medienschaffenden wären Teil der kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Ihre Namen lauten: Serdar Altan, Ko-Vorsitzender des Journalistenvereins Tigris-Euphrat (DFG); Safiye Alagas, Leiterin der Frauennachrichtenagentur JinNews; Mehmet Ali Ertas, Chefredakteur der Website Xwebûn; Aziz Oruc, der Herausgeber der Mezopotamya Agency (MA); sowie Zeynel Abidin Bulut, Omer Celik, Mazlum Dogan Güler, İbrahim Koyuncu, Nese Toprak, Elif Üngür, Abdurrahman Oncü, Suat Doguhan, Remziye Temel, Ramazan Geciken, Lezgin Akdeniz und Mehmet Sahin.
In Verhören fragte man sie nach ihren Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, nach ihren Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen sowie nach Verbindungen zu pro-kurdischen Medien, die in EU-Ländern ansässig sind. Dies berichten die Anwältinnen und Anwälte der Betroffenen. Außerdem sollten sie ihre Sicht auf die kurdische Frage darlegen und erläutern, ob sie die „Zusammenstöße“ zwischen türkischen und kurdischen Kräften im Nordirak und an der syrischen Grenze als „Krieg“ definieren. Diese Fragen erwecken den Eindruck, dass nicht genug Beweise vorliegen, so dass im Nachhinein versucht wird, kompromittierendes Material in Form von Aussagen herzustellen.
In den sechs Monaten seit ihrer Verhaftung wurde weder Anklage gegen sie erhoben, noch kam es zu einer Gerichtsverhandlung. Und das, obwohl laut türkischem Strafprozessrecht gegen Personen, die wegen Terrorismus-Vorwürfen verhaftet werden, innerhalb von vier Tagen Anklage erhoben werden muss. Verlängert werden kann diese Frist maximal um wenige Tage und nur mit richterlicher Zustimmung. Zudem wurde ihnen das Recht auf Verteidigung verweigert, ihre Anwältinnen und Anwälte erhielten zunächst nicht einmal Einblick in die Akte.
Zweite Razzia im Oktober
In einer zweiten „anti-Terror-Operation“ am 25. Oktober wurden elf weitere kurdische Medienschaffende in Gewahrsam festgenommen. Die Festnahmen und Hausdurchsuchungen fanden zeitgleich in verschiedenen Städten statt, darunter Ankara, Istanbul, Van, Diyarbakir und Mardin. Auch ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Es handelt sich um Mitarbeitende der Medien Mezopotamya Agency (MA) und JinNews.
Aus dieser Gruppe wurden nach einigen Tagen zwei Personen unter Auflagen entlassen: der MA-Reporter Zemo Ağgöz sowie der MA-Volontär Mehmet Günhan. Gegen die verbleibenden neun erging vier Tage später, am 29. Oktober, Haftbefehl. Ihre Namen lauten: die Chefredakteurin der Mezopotamya Agency (MA) Diren Yurtsever, ihre Reporterinnen und Reporter Berivan Altan, Deniz Nazlim, Selman Güzelyüz, Hakan Yalcin, Ceylan Sahinli und Emrullah Acar sowie Habibe Eren und Öznur Değer von JinNews. Sie sitzen nach wie vor im Gefängnis.
Diese Journalistinnen und Journalisten wurden in Verhören zu ihrer Mitgliedschaft im Journalistenverein Tigris-Euphrat (DFG), zu Inhalten ihrer Nachrichten, Verbindungen zu anderen Medien, Posts in sozialen Netzwerken sowie Reisen befragt. Sie sollten zudem erklären, von wem sie Anweisungen erhielten und wie sie zu berichten hatten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 von 180 Ländern.
Dies ist eine überarbeitete Version unserer Pressemitteilung, in der die Zahlen von Festnahmen und Inhaftierungen ausführlicher erklärt werden als in der ersten Version.
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