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Ukraine

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 61 von 180
Ukraine 06.09.2017

Einreiseverbote und Internetsperren keine Lösung

Ausgewiesen: die russische Journalistin Anna Kurbatowa © dpa

Reporter ohne Grenzen ruft die Konfliktparteien in der Ukraine auf, Journalisten frei berichten zu lassen und nicht bei ihrer Arbeit zu behindern. In den vergangenen zwei Monaten hat die ukrainische Regierung mindestens fünf ausländische Reporter des Landes verwiesen und mehrjährige Einreiseverbote verhängt. Im Osten des Landes halten pro-russische Separatisten mehrere Journalisten gefangen, einer von ihnen wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die ukrainische Regierung versucht, die Bevölkerung mit Internetsperren und Sendeverboten davon abzuhalten, Medienangebote aus Russland zu nutzen.

„Wie beide Seiten in diesem Konflikt mit Journalisten umgehen, ist absolut unverhältnismäßig“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Uns ist klar, dass der Krieg in der Ukraine auch mit Worten geführt und angeheizt wird, aber das rechtfertigt nicht, Journalisten zu verfolgen, nur weil sie für bestimmte Medien arbeiten oder eine politisch unbequeme Meinung vertreten. Reporter auszuweisen oder ins Gefängnis zu werfen und Medien oder Webseiten einfach zu verbieten, kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft keine Lösung sein.“

Russische Journalisten als Propagandisten gebrandmarkt

Am 30. August wurde in Kiew die 29-jährige Journalistin Anna Kurbatowa festgenommen, die für den Ersten Kanal des staatlichen russischen Fernsehens erst seit einigen Tagen aus der Ukraine berichtet hatte. Eine Sprecherin des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU erklärte wenige Stunden später auf Facebook, Kurbatowa sei ausgewiesen worden und dürfe drei Jahre lang nicht mehr in die Ukraine einreisen, weil sie „nationale Interessen verletze“. Dem vorausgegangen war die Drohung des SBU, mit jedem, der die Ukraine verunglimpfe, ebenso zu verfahren.

Die umstrittene Webseite Mirotworez bezichtigte Kurbatowa „antiukrainischer Propaganda“ und veröffentlichte ihre persönlichen Daten inklusive Fotos, Geburtsdatum und Profilen in sozialen Medien. Die Journalistin, heißt es, manipuliere gesellschaftlich wichtige Informationen und lege Ereignisse tendenziös aus. Die Webseite war im Mai 2016 in die Schlagzeilen geraten, als sie persönliche Daten wie Handynummern und E-Mail-Adressen von mehreren tausend ukrainischen und ausländischen Journalisten veröffentlicht hatte, die in den selbst ernannten „Volksrepubliken“ von Luhansk und Donezk akkreditiert waren und deshalb als „Helfer von Terroristen“ diffamiert wurden. Während sich einige ukrainische Regierungsbeamte hinter diesen Schritt stellten, protestierten internationale Organisationen scharf.

Reporter wegen ihrer Berichte ausgewiesen oder inhaftiert

Am 25. August wurde den spanischen Journalisten Antonio Pampliega und Manuel Angel Sastre die Einreise verweigert, nachdem Grenzbeamte sie 20 Stunden lang am Kiewer Flughafen festgehalten hatten. Der Geheimdienst SBU begründete dies mit den Reportagen der Journalisten über den Krieg im Osten des Landes. Sie hatten unter anderem über den Beschuss von Zivilisten durch ukrainische Kämpfer berichtet. Pampliega und Sastre standen bereits auf einer Liste von etwa 40 Journalisten, denen Präsident Poroschenko im September 2015 per Dekret die Einreise in die Ukraine verbieten wollte. Nach internationalen Protesten wurden die beiden Spanier genau wie drei Mitarbeiter der BBC wieder von der Liste gestrichen.

Ebenfalls ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot für drei Jahre belegt wurde am 15. August Tamara Nersesjan, Korrespondentin für den staatlichen russischen Fernsehkanal Rossija 1 – nach Angaben des SBU , weil sie eine Gefahr für die Sicherheit des Landes darstelle. Aus dem gleichen Grund musste Ende Juli Maria Knjasjewa die Ukraine verlassen. Sie hatte unter dem Pseudonym Maria Sauschkina ebenfalls für die staatlichen Sender Rossija 1 und Rossija 24 gearbeitet.

Auch innerhalb des Landes gehen die Behörden gegen Journalisten vor, die nicht die Position der ukrainischen Regierung vertreten. Seit dem 3. August sitzt der Blogger Wassili Murawizki in der Stadt Schitomir 150 Kilometer westlich von Kiew in Untersuchungshaft – vermutlich wegen seiner Tätigkeit für russische Staatsmedien. Staatsanwaltschaft und Geheimdienst bezeichnen ihn als „Informationssöldner“, der im Auftrag Russlands „subversiv“ agiere und mittels seiner Veröffentlichungen Hass schüre. Sie werfen ihm Hochverrat, die Gefährdung der territorialen Integrität der Ukraine und die Unterstützung terroristischer Organisationen vor. Unter den Beweismaterialien findet sich ein Vertrag mit dem russischen Medienunternehmen Rossija Sewodnja, zu dem unter anderem das Nachrichtenportal Sputnik und der Fernsehsender RT gehören. Dem 32-jährigen Journalisten drohen 15 Jahre Haft.

Gerichtsprozesse und lange Haftstrafen in den besetzten Gebieten

Ebenso rigoros verfolgen die Separatisten im Osten der Ukraine und auf der Krim vermeintlich feindliche Journalisten. Am 28. Juli wurde der Blogger Eduard Nedeljajew in der selbsternannten „Volksrepublik Luhansk“ nach acht Monaten Untersuchungshaft zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Als „Edward Ned“ hatte er über den Alltag in Luhansk gebloggt, das seit drei Jahren von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird. Die Behörden werfen ihm vor, er habe Hass gegen das russische Volk geschürt und ausländische Agenten mit Informationen versorgt.

In der so genannten „Volksrepublik Donezk“ wird seit dem 2. Juni Stanislaw Asejew gefangen gehalten und der Spionage beschuldigt. Der 27-Jährige berichtete unter dem Pseudonym Stanislaw Wasin unter anderem für ukrainische Medien wie die Tageszeitung Ukrainska Prawda, die Wochenzeitung Dserkalo Tischnja und das Nachrichtenmagazin Ukrainski Tischden sowie für Radio Free Europe/Radio Liberty.

Auf der Krim steht seit dem 20. März der 66-jährige Nikolaj Semena vor Gericht. Ihm drohen fünf Jahre Haft wegen eines Kommentars auf der von Radio Free Europe/Radio Liberty betriebenen Seite Krym.Realii, in dem er im September 2015 die Annexion der Krim durch Russland kritisiert und eine Blockade der Halbinsel durch die Ukraine befürwortet hatte. Im April 2016 nahm ihn der russische Inlandsgeheimdienst FSB kurzzeitig fest, seither darf er die Region nicht verlassen. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und die russische Menschenrechtsgruppe Memorial unterstützen Semena und forderten die Behörden auf, alle Anschuldigungen gegen den Journalisten fallen zu lassen.

Internetseiten und russische Sender verboten

Im Kampf um die mediale Deutungshoheit versuchen die ukrainischen Behörden zudem, den Zugang der Bevölkerung zu Medienangeboten aus Russland systematisch zu beschränken. Im Mai ließ Präsident Poroschenko per Dekret die Seiten russischer sozialer Netzwerke wie Vkontakte und Odnoklassniki und zahlreicher russischer Medien sperren. Auch der russische E-Mail-Dienst mail.ru und die Suchmaschine yandex.ru sind seither offiziell nicht mehr zugänglich.

Im Januar schloss der Nationale Rundfunkrat den russischen Oppositionssender TV Doschd aus dem ukrainischen Kabelnetz aus – eine der wenigen russischsprachigen Quellen für alternative Informationen neben vom Kreml gesteuerten Nachrichten. Russischsprachige Bücher dürfen aufgrund eines Gesetzes vom Dezember 2016 nur noch nach vorheriger Genehmigung importiert werden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 102 von 180 Staaten. Wie stark ukrainische Medien an Korruption und mangelnder Transparenz über ihre Eigentumsverhältnisse leiden, zeigen die Ergebnisse des Media Ownership Monitor (MOM), die ROG im Oktober 2016 vorgestellt hat. Der Länderbericht „Ernüchterung nach dem Euromaidan“ vom Juni 2016 beleuchtet die schwierige Situation von Journalisten in einem Land, in dem die wichtigsten Fernsehsender Oligarchen gehören und als Mittel im Kampf um wirtschaftliche und politische Macht missbraucht werden. Die von den Separatisten besetzten Gebiete im Osten der Ukraine und die von Russland annektierte Halbinsel Krim sind für unabhängige Beobachter und ausländische Journalisten immer schwerer zugänglich und werden zu weißen Flecken in der Berichterstattung.



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