Ukraine
01.02.2024
Investigative Medienschaffende bespitzelt
Ein versuchter Einbruch, ein geleaktes Party-Video und eine versteckte Abhöreinrichtung in einem Auto: Innerhalb weniger Tage wurden in der Ukraine drei Fälle von Überwachung von Journalistinnen und Journalisten bekannt. Betroffen waren Investigativmedien, die über Korruption und Vetternwirtschaft in Regierung, Verwaltung und Behörden berichten.
„Die Behörden müssen die Vorfälle zügig aufklären und die Täter zur Rechenschaft ziehen“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Recherchen über Korruption und Machtmissbrauch müssen auch unter Kriegsbedingungen ohne Angst vor Repressionen möglich sein. Die Ukraine hat sich der Pressefreiheit verpflichtet.“
Einschüchterung durch maskierte Unbekannte
Begonnen hatte der Überwachungsskandal am 14. Januar. Am späten Nachmittag dieses Tages trommelten maskierte Männer an die Tür des Kyjiwer Journalisten Jurij Nikolow. Die Unbekannten trugen Uniformen, schrien und fluchten und versuchten, in seine Wohnung einzudringen. Schließlich klebten sie Zettel mit Aufschriften wie „Verräter“, „Provokateur“ und „Geh zur Armee“ auf die Tür. Der Medienschaffende war zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht zu Hause, berichtete er am nächsten Morgen auf Facebook.
Ein von den Unbekannten gedrehtes Video des Übergriffs erschien anschließend auf dem Telegram-Kanal Kartotschnyj Ofis. Dieser wird einem Netzwerk anonymer Kanäle auf Telegram zugerechnet, die mit dubiosen PR-Spezialisten in Verbindung gebracht werden, welche dem Kommunikationsteam des Präsidialbüros nahestehen sollen. Die Aufnahmen zielten offenbar darauf ab, Nikolow als angeblichen Wehrdienstverweigerer zu verunglimpfen: Nach Darstellung von Kartotschnyj Ofis habe es sich bei den Unbekannten um Militärs gehandelt, welche ihm einen Einberufungsbescheid zustellen wollten. Weitere anonyme Telegram-Kanäle behaupteten, mit der Aktion rächten sich Soldaten für eine angebliche Beleidigung des ukrainischen Präsidenten durch Nikolow.
Nikolow ist Mitgründer von Naschi Hroschi (Unser Geld), einer einflussreichen Rechercheplattform, die Berichte ukrainischer Medien über die Vergabe von Staatsaufträgen an Unternehmen bündelt. Ein von Naschi Hroschi veröffentlichter Bericht Nikolows führte im vergangenen Jahr zum Rücktritt von Verteidigungsminister Oleksij Resnikow. Den Recherchen des Journalisten zufolge hatte dieser Verträge zu stark überhöhten Preisen für die Lieferung von Lebensmitteln an die Armee abgeschlossen.
Jurij Nikolow betrachtet den Vorfall als Teil einer Einschüchterungskampagne. Diese könnte eine Reaktion auf seine Kritik an Wolodymyr Selenskyj sein, erklärte er auf Nachfrage des Online-Medienmagazins Detektor Media. Nikolow hatte den ukrainischen Präsidenten vor wenigen Wochen in einer Diskussion einen Drückeberger genannt, der seine Pflicht vernachlässige, ein Land im Krieg zu führen. Möglicherweise sei aber auch Ex-Verteidigungsminister Resnikow verantwortlich, mutmaßt der Journalist. Dieser habe ihm nach seinem Rücktritt mit einer Klage gedroht.
Organisierte Spähaktion gegen Rechercheplattform
Schon am 16. Januar sorgte ein weiteres Video für landesweite Empörung. In dem gut fünfminütigen Clip sind Mitarbeitende der Rechercheplattform Bihus.Info bei einer Neujahrsfeier in einem Hotel zu sehen. Die offensichtlich mit versteckten Kameras gefilmten Szenen zeigen angeblich, wie einige der Mitarbeitenden Drogen konsumieren. In anderen Abschnitten des Videos sind Telefonate zu hören, in denen sich Redaktionsmitglieder über den Erwerb von Drogen wie Marihuana und Ecstasy austauschen.
Das Video wurde von dem weitgehend unbekannten YouTube-Kanal Narodna Prawda (Die Wahrheit des Volkes) veröffentlicht und von zahlreichen pro-präsidentiellen anonymen Telegram-Kanälen weiterverbreitet. Mittlerweile ist das Video gelöscht.
Bihus.Info wurde 2013 vom Investigativjournalisten Denys Bihus gegründet und ist vor allem für aufwändige Recherchen über Korruption und Vetternwirtschaft bekannt. Für Aufsehen sorgte die Rechercheplattform beispielsweise im August 2023 mit einem Bericht über Solarkraftwerke, welche dem Bruder des Vizechefs des Präsidialbüros gehören und von der Ukraine finanziert werden, obwohl sie in den russisch besetzten Gebieten liegen.
Denys Bihus bestätigte in zwei Stellungnahmen, dass es sich bei den Personen im Video um Kameraleute von Bihus.Info handelt. Diese seien bereits entlassen. Zudem habe er Drogentests für die Redaktion angeordnet. Nach Angaben von Bihus müsse die Redaktion langfristig überwacht worden sein. Darauf deuteten unter anderem die im Video verwendeten Ausschnitte der abgehörten Telefongespräche hin, welche mehrere Monate auseinander lägen. Ziel sei wahrscheinlich die Diskreditierung von Bihus.Info.
Geheimdienst nimmt Ermittlungen auf
Der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) nahm einen Tag nach Erscheinen des Videos Ermittlungen wegen illegalen Erwerbs, Verkaufs oder Einsatzes spezieller technischer Mittel zur Informationsbeschaffung auf. Zusätzlich reichten die Medienschaffenden von Bihus.Info bei der Polizei Anzeige wegen Verletzung ihrer Privatsphäre ein. Außerdem veröffentlichte das Medium eine eigene Untersuchung des Falls. Dieser zufolge sollen mindestens 30 Personen daran beteiligt gewesen sein, Kameras in den überwachten Hotelzimmern aufzuhängen. Im Fall von Jurij Nikolow nahm die Polizei Ermittlungen wegen Behinderung journalistischer Arbeit und Verfolgung wegen Berichterstattung auf. Sie konnte bisher fünf Tatverdächtige identifizieren.
Medienschaffende schlagen Alarm
Beide Fälle sorgten unter ukrainischen Medienschaffenden für Empörung. Der ukrainische Präsident müsse die Kampagne gegen die Journalistinnen und Journalisten entschieden verurteilen, forderte Mediaruch, ein Verband ukrainischer Medien, Nichtregierungsorganisationen und Medienschaffender, in einer Stellungnahme, die mehr als 70 Organisationen und Medienschaffende unterschrieben. Wolodymyr Selenskyj erklärte einen Tag nach dem Erscheinen des Überwachungsvideos jeglichen Druck auf Medienschaffende für inakzeptabel und kündigte eine Untersuchung durch den ukrainischen Inlandsgeheimdienst (SBU) an. Der SBU-Chef und der Generalstaatsanwalt der Ukraine berichteten ihm persönlich über Einzelheiten des Falls, ergänzte Selenskyj in einem Interview mit dem britischen Fernsehsender Channel 4.
Abhörgerät im Auto
Doch nur wenig später wurde der nächste Abhörvorfall bekannt: Am 19. Januar entdeckte die in Odessa lebende Journalistin Iryna Hryb in ihrem Auto ein Abhör- und Ortungsgerät mit GPS- und Wifi-Funktion. Nach Aussage der Medienschaffenden war das Gerät seit seiner Installation zehn Tage zuvor online. Ihre Telefonate sowie Unterhaltungen mit Mitfahrenden hätten so abgehört und die Bewegungen des Autos verfolgt werden können. Hryb führt die Überwachung auf eine Recherche über die dubiose Rolle der lokalen Behörden beim Export von Getreide über den sogenannten Getreidekorridor durchs Schwarze Meer zurück. Bereits am 13. Januar hatten Unbekannte versucht, einen von Hryb betriebenen Telegram-Kanal zu hacken.
Die Ukraine belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 79 von 180 Staaten.
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