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Ukraine

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 61 von 180
Ukraine 26.03.2025

Journalistin Roschtschyna wurde gefoltert

Viktoria Roschtschyna wurde vor ihrem Tod gefoltert.
Die ukrainische Journalistin Viktoria Roschtschyna wurde vor ihrem Tod in russischem Gewahrsam gefoltert. © Instagram

Die ukrainische Journalistin Viktoria Roschtschyna wurde vor ihrem Tod in russischem Gewahrsam gefoltert und magerte auf 30 Kilogramm ab. Dies sind die erschütternden Ergebnisse einer gemeinsamen Recherche von Reporter ohne Grenzen (RSF) und den ukrainischen Nachrichtenportalen Slidstvo.info, Suspilne und Graty. Die Untersuchung fußt auf zahlreichen Gesprächen mit ehemaligen Zellengenossen Roschtschynas über ihre Zeit in russischen Haftanstalten.

Viktoria Roschtschynas Familie wurde im Oktober 2024 in einem vierzeiligen Schreiben des russischen Verteidigungsministeriums über den Tod der Journalistn informiert. Der offiziellen Version zufolge verstarb sie  am 19. September 2024 in russischer Haft. Eine Erklärung der Todesumstände blieb Moskau schuldig. Mit der Nachricht gingen für Angehörige und Freunde der Medienschaffenden Monate der Ungewissheit schmerzlich zu Ende. Bereits im August 2023 war die freiberufliche Journalistin in den russisch besetzten Gebieten in der Südukraine verschwunden. Anfragen zu Roschtschynas Verbleib hatte Moskau monatelang ignoriert. Erst im April 2024 bestätigte Russland ihre Festnahme.

Messerstiche und Elektroschocks

Viktoria Roschtschyna wusste, wie gefährlich journalistische Arbeit in den von Russland besetzten Gebieten ist. Bereits zu Beginn der Vollinvasion hatte der russische Geheimdienst FSB sie ergriffen und tagelang festgehalten. Trotzdem reiste die freiberufliche Reporterin, die unter anderem für die ukrainische Online-Zeitung Ukrainska Pravda schrieb, im Sommer 2023 für Recherchen in russisch besetzte Gebiete im Süden der Ukraine. Dort wollte sie Berichten über russische Folterlager nachgehen. Anfang August 2023 wurde sie in der Stadt Enerhodar, nahe des Atomkraftwerks Saporischja, festgenommen. Wie genau es dazu kam, bleibt unklar. Ein ehemaliger Zellengenosse Roschtschynas berichtet, eine Drohne habe sie entdeckt. Anschließend wurde die Journalistin mehrere Wochen lang an einem unbekannten Ort im nahe gelegenen Melitopol festgehalten. In dieser Zeit wurde sie gefoltert. Mithäftlinge, die Roschtschyna nach ihrer anschließenden Verlegung in ein Untersuchungsgefängnis im südrussischen Taganrog sahen, erinnern sich an Narben von Messerstichen auf dem Körper der Journalistin. Roschtschyna habe zudem von Folter durch Elektroschocks erzählt.

Auf 30 Kilogramm abgemagert

Die Journalistin bat immer wieder um Gespräche mit der Gefängnisleitung, um herauszufinden, was ihr vorgeworfen wurde. Eine Erklärung bekam sie nicht. Aufgrund psychischen Drucks und der schlechten Haftbedingungen in Taganrog verschlechterte sich Roschtschynas Zustand zunehmend. Ein Zeuge beschreibt unter anderem eine Panikattacke der Journalistin. Außerdem weigerte sie sich zu essen und verlor rasch an Gewicht. Die Leitung der Haftanstalt wollte das geheim halten: Während eines Kontrollbesuchs von Vertretern der russischen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa wurde Roschtschyna im März 2024 aus ihrer Zelle geholt und in ein Büro in den unteren Stockwerken gesperrt. Am Abend brachte man sie zurück in die Zelle.

Trotz ihres schlechten Gesundheitszustands erhielt Roschtschyna keine Medikamente oder eine adäquate medizinische Behandlung. Erst im Juni 2024 wurde sie von einem Arzt untersucht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Journalistin bereits nicht mehr genug Kraft, um ihren Kopf selbstständig vom Kissen zu heben. Einem Zeugen zufolge wog sie nur noch etwa dreißig Kilogramm. Ende des Monats wurde die Medienschaffende schließlich in ein Krankenhaus gebracht, das Gefängnis konnte sie nur auf einer Trage verlassen.  

Tod unter ungeklärten Umständen

Nach einigen Wochen wurde Viktoria Roschtschyna in die Haftanstalt zurückgebracht und in eine Einzelzelle gesteckt. Ihr Zustand hatte sich anscheinend verbessert. Laut Zeugenaussagen konnte sie sich wieder selbstständig bewegen. Außerdem reagierte die Journalistin auf Fragen der Gefängniswärter, die kontrollierten, dass sie Nahrung zu sich nahm. Ende August 2024 durfte Roschtschyna aus der Haftanstalt kurz ihre Eltern anrufen. Das letzte Mal wurde sie am 8. September 2024 gesehen, als sie aus ihrer Zelle zu einem unbekannten Ort gebracht wurde. Nach offiziellen russischen Angaben soll Roschtschyna am 19. September 2024 gestorben sein.

Was mit Viktoria Roschtschyna nach dem 8. September 2024 geschah, wirft weiterhin viele Fragen auf: Wurde sie in eine andere Haftanstalt verlegt? Ist die Journalistin wirklich tot, wie Russland behauptet? Warum wurde ihre Leiche noch immer nicht an die Angehörigen übergeben? Diesbezügliche Anfragen von RSF ließ das russische Verteidigungsministerium unbeantwortet.

Wenn Sie Informationen zu Viktoria Roschtschyna oder anderen von Russland inhaftierten oder getöteten Medienschaffenden aus der Ukraine haben, schreiben Sie an ua-investigation@rsfsecure.org

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Rang 162 von 180 Staaten. Die Ukraine belegt Platz 61. Mindestens 19 ukrainische Medienschaffende sitzen derzeit in russischer Haft.

 



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