Ukraine-Krieg
05.03.2022
RSF eröffnet Zentrum für Pressefreiheit in Lwiw
Die russische Invasion der Ukraine wird durch einen Krieg um Informationen begleitet. Reporter ohne Grenzen (RSF) reagiert darauf und wird in Kürze gemeinsam mit der langjährigen ukrainischen Partnerorganisation, dem Institut für Masseninformation (IMI), ein Zentrum für Pressefreiheit für gefährdete Journalistinnen und Journalisten eröffnen. Berichterstattende sollen dort Schutzausrüstung ausleihen können – vor allem schusssichere Westen und Helme sind derzeit knapp. Das Zentrum wird im westukrainischen Lwiw angesiedelt sein und ist auch als physische und digitale Anlaufstelle für Journalistinnen und Reporter gedacht, die finanzielle oder psychologische Unterstützung suchen.
„RSF hat gefährdete ukrainische Journalistinnen und internationale Reporter vom ersten Tag des Krieges an begleitet“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Der Bedarf an Unterstützung ist immens, es geht um so verschiedene Dinge wie Schutzausrüstung, medizinische Notfallpakete und humanitäre oder finanzielle Hilfe. Wir rufen deshalb die internationalen Spenderinnen und Spender und die Medien auf, uns zu kontaktieren, damit wir die Mittel kanalisieren können.“
Das Zentrum für Pressefreiheit wird sich in den Räumen des Medienzentrums für ausländische Presse befinden. In dieser von der Stadtverwaltung in Lwiw geschaffenen Einrichtung können ausländische Journalistinnen und Reporter von 8 bis 20 Uhr arbeiten, das Internet nutzen und live streamen. Es verfügt zudem über einen Schutzraum im Falle eines Angriffs. Das Zentrum wird gemeinsam von RSF und IMI betrieben, mit dem RSF seit 2014 intensiv zusammenarbeitet.
RSF und IMI erhalten täglich Hunderte von Anfragen von Medienschaffenden, die um Unterstützung etwa beim Transport, in Fragen humanitärer Hilfe oder bei der Ausrüstung bitten. Die Koordinierung dieser Anfragen wird ebenfalls digital im neuen Zentrum für Pressefreiheit liegen.
Zudem hat RSF bereits damit begonnen, mit dem Projekt „Collateral Freedom“ ukrainischen und russischen unabhängigen Medien dabei zu helfen, die Sperrung von Webseiten durch die Behörden zu umgehen. Um die zensierten Informationen zugänglich zu machen, „spiegelt“ RSF die Webseiten und legt dazu exakte, ständig aktualisierte Kopien der Seiten auf den Cloud-Servern großer internationaler Anbieter angelegt. Eine Regierung könnte die gespiegelten Webseiten dann nur noch sperren, indem sie den gesamten jeweiligen Cloud-Server blockiert. Doch damit träfe sie zugleich etliche Unternehmen, die auf Dienste derselben Anbieter angewiesen sind. Das Online-Medium Meduza ist im Rahmen des Projekts bereits gespiegelt worden und somit dem direkten Zugriff der russischen Behörden entzogen.
„Die Journalistinnen und Reporter in der Ukraine müssen unter extrem gefährlichen Bedingungen arbeiten", sagte IMI-Direktorin Oksana Romaniuk. „Ihr Mut ermöglicht es uns allen, das tatsächliche Ausmaß der russischen Aggression in der Ukraine zu erkennen. Ihre Arbeit schützt das Recht der Menschen auf Information und hilft im Kampf gegen Fälschungen. Wir sind dankbar für die Unterstützung durch unseren langjährigen Partner RSF und werden gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, um die Arbeit der Medienschaffenden in der Ukraine sicherzustellen.“
Das Zentrum für Pressefreiheit in Lwiw arbeitet eng mit dem Unterstützungsprogramm für ukrainische Journalistinnen und Reporter des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung (n-ost) zusammen.
Zu den ersten Unterstützern des Zentrums für Pressefreiheit gehören die Limelight Foundation und die Adessium Foundation in den Niederlanden, die Schöpflin-Stiftung in Deutschland, die König-Baudouin-Stiftung in Belgien, die Oak Foundation im Vereinigten Königreich und Dutzende von Einzelspenderinnen und Einzelspendern.
Medien im Visier der Kriegsparteien
Schon frühzeitig sind im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowohl Journalistinnen und Reporter als auch mediale Infrastruktur zu Zielen geworden. Am Montag (28.02.) kam Ewgeni Sakun, Kameramann für Kiev Live TV, bei der Bombardierung des TV- und Radio-Sendeturms in Kiew ums Leben. RSF erinnert daran, dass gezielte Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten Kriegsverbrechen darstellen.
Am Samstag (26.02.) wurde der Bürgerjournalist Dilerbek Schakirow in Cherson erschossen. Er arbeitete für die Wochenzeitung Vokrug Tebia („Around You“). Am gleichen Tag wurden die beiden dänischen Journalisten Stefan Weichert und Emil Filtenborg schwer verletzt, als ihr Auto von Schüssen getroffen wurde. Sie waren in der Gegend um Ohtyrka, etwa hundert Kilometer westlich von Charkiw, unterwegs. Beide sind erfahrene Kriegsreporter, leben in Kiew und trugen zum Zeitpunkt des Angriffs schusssichere Westen. Bislang ist unklar, wer die Schüsse abgegeben hat.
RSF-Beschwerde vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen möglicher Kriegsverbrechen
Spätestens ab Montag (28.02.), dem fünften Tag des Krieges, hat die russische Armee auch mediale Infrastruktur ins Visier genommen. Am 28.02. wurde der Sendeturm in Kiew bombardiert. Am Mittwoch (02.03.) wurde ein Sendeturm in Korosten in der Region Schytomir zerstört, zwei weitere in Charkiw und in der Region Luhansk wurden beschossen. Mindestens 32 Fernseh- und Dutzende Radiostationen wurden durch die Angriffe in ihrer Berichterstattung eingeschränkt.
RSF ist der Ansicht, dass die vier Sendetürme bewusst beschossen wurden und hat deshalb am Freitag (04.03.) eine Beschwerde vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eingereicht. Gemäß internationalem Recht dürfen TV- und Radiosendemäste nur und ausschließlich dann als militärische Ziele betrachtet werden, wenn sie durch das Militär genutzt, dem Militär vorübergehend zur Nutzung überlassen oder gleichzeitig militärisch und zivil genutzt werden. Die RSF-Beschwerde legt dar, dass keiner dieser Gründe bei den russischen Angriffen vorlag.
„Medieninfrastruktur bewusst anzugreifen ist ein Kriegsverbrechen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Im Krieg ist der Zugang zu Informationen lebenswichtig. Indem er das russische Militär Sendemäste beschießen lässt, zeigt Putin, wie sehr er Menschenrechte wie die Pressefreiheit seinen Machtinteressen unterordnet. Wir rufen den Internationalen Strafgerichtshof dazu auf, Verbrechen an den Medien zu einem der Kernpunkte der Ermittlungen zu machen.“
Der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, hatte am 28. Februar angekündigt, eine Untersuchung der Situation in der Ukraine einzuleiten. Am 2. März überwiesen 39 Unterzeichner-Staaten des Römischen Statuts, dem Vertrag zur Gründung des IStGH, die Situation in der Ukraine offiziell an den Chefankläger. Dadurch kann er sofort mit den Ermittlungen beginnen, ohne erst die Genehmigung des Gerichtshofs einholen zu müssen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 97, Russland auf Platz 150 von 180 Staaten.
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