Ukraine
16.10.2023
Slapp-Klage gegen Investigativmedium
Der ukrainische Geschäftsmann Serhij Semenjuk hat die Investigativseite Slidstvo.info und deren Redakteurin Janina Kornijenko wegen Verletzung seiner Ehre und Würde sowie der Schädigung seiner geschäftlichen Reputation verklagt. Anlass ist ein Bericht des Mediums über Geschäftsverbindungen des Unternehmers nach Russland. Der Recherche zufolge soll Semenjuk eng mit einem Unternehmer aus dem Umfeld des im August 2023 umgekommenen russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin zusammenarbeiten. Das Verfahren begann am 5. September.
„Es handelt sich eindeutig um eine SLAPP-Klage welche die Redaktion von Slidstvo.info einschüchtern und zum Schweigen bringen soll“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). SLAPP steht für Strategic Lawsuit against Public Participation. „Ein solches Vorgehen ist nicht hinnehmbar. Gerichte dürfen nicht missbraucht werden, um unbequeme Recherchen und Kritik zu unterdrücken. Die Klage muss abgewiesen werden!“
Reinigungsfirmen mit Verbindungen nach Russland
Kornijenkos Recherche erschien im Mai 2023 unter der Überschrift From the Kremlin Palace to Ukrenergo: who cleans Ukraine’s strategic facilities. Ihr zufolge werden die Gebäude vieler Staatsunternehmen in der Ukraine von Reinigungsfirmen im Besitz von Serhij Semenjuk gesäubert. Zu den staatlichen Auftraggebern zählen etwa die ukrainische Eisenbahn, der staatliche Energieversorger und die Post. Das Problem aus ukrainischer Perspektive: Semenjuk ist Geschäftspartner des russischen Unternehmers Eduard Apsit, der enge Kontakte zum umgekommenen russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin unterhielt. Mit Apsit verbundene Firmen sollen auch Aufträge zur Reinigung des Kremls erhalten haben. An den lukrativen Geschäften hat auch der russische Großangriff auf die Ukraine bisher nichts geändert. Die Reinigungsfirmen von Semenjuk und Apsit haben weiterhin ungehinderten Zugang zu Gebäuden strategisch wichtiger Staatsunternehmen der Ukraine.
Um die Erfolgsaussichten seiner Klage zu vergrößern, sorgte Semenjuk mit juristischen Tricksereien dafür, dass diese an einem von ihm bevorzugten Gericht und einer favorisierten Richterin verhandelt wird. Dafür überlistete er das elektronische System, das über einen Zufallsgenerator Richterinnen und Richtern Fälle zuweist. Die automatische Prozedur soll Korruption in der Justiz verhindern. Offenbar unzufrieden mit dem ihm zugeteilten Personal zog der Geschäftsmann seine erstmals am 17. Juli 2023 eingereichte Klage insgesamt zweimal wieder zurück. Anschließend reichte er sie wieder ein und erzwang so eine erneute Suche des Systems. Nach dem dritten Einreichen der Klage teilte dieses ihm schließlich die gewünschte Richterin zu.
Juristische Tricksereien und ein ominöser Unbekannter
Dass Semenjuk genau diese Richterin bekommen wollte, legt ein weiterer juristischer Winkelzug nahe. Denn der Geschäftsmann richtete seine Klage auch gegen einen weitgehend Unbekannten, der die Recherche von Slidstvo.info auf Instagram geteilt hatte. Der Mann mit dem Namen Wladislaw Hrindak steht in keinerlei Verbindung zu Redaktion des Mediums oder zu dessen Autorin Janina Kornijenko. Jedoch ist er im selben Bezirk der Stadt Dnipro registriert, in dem sich auch das Schowtnewyj-Gericht befindet, an welchem die von Semenjuk bevorzugte Richterin tätig ist. Dass die Klage vor diesem Gericht verhandelt wird, ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass Hrindak als dritter Angeklagter figuriert. Allerdings fordert Semenjuk von ihm keinerlei Schadensersatz. Von der Redaktion von Slidstvo.info verlangt er dagegen umgerechnet etwa 5.200 Euro.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt die Ukraine Platz 79 von 180 Staaten.
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