Ukraine
22.05.2014
Übergriffe auf Journalisten dauern an
Mit großer Sorge beobachtet Reporter ohne Grenzen (ROG) die andauernden Übergriffe gegen Journalisten in Teilen der Ukraine. Prorussische Bürgerwehren entführen Journalisten, um sie mundtot zu machen oder Lösegelder zu erpressen. Radikale ukrainische Nationalisten rufen zu ähnlichen Taten auf. Die ukrainische Armee nimmt immer wieder russische Journalisten fest, die anschließend von offizieller Seite als Terroristen dargestellt werden. Während die internationale Aufmerksamkeit sich derzeit vor allem auf die eskalierende Lage im Osten des Landes richtet, bleibt die Lage auch für Medienschaffende auf der Krim gefährlich.
„Es ist erschreckend zu sehen, wie Journalisten in der Ukraine zwischen die Fronten geraten und zum Spielball politischer Interessen werden. Dass wir heute über Folter und Entführung von Journalisten im Herzen Europas sprechen müssen, zeugt von einem schwer vorstellbaren Ausmaß an politischer Verrohung“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Journalisten müssen auch in einer Konfliktsituation in der Lage sein, unbehelligt über die Aktivitäten aller Akteure zu recherchieren und zu berichten.“
Die ROG-Partnerorganisation Institute of Mass Information (IMI) hat seit Jahresbeginn 218 Angriffe auf Journalisten in der Ukraine gezählt. Allein in der Woche vom 10. bis zum 16. Mai zählte das IMI 15 tätliche Angriffe; unter anderem wurden Journalisten beschossen, entführt und gefoltert.
So wurden in Simferopol am vergangenen Sonntag – dem 70. Jahrestag der Deportation der Krimtataren – sechs Journalisten festgenommen und mehrere Stunden lang von russischen Sicherheitsdiensten verhört. Einer der Festgenommenen war Osman Paschajew, der sich seit Langem für die Minderheit der Krimtataren einsetzt und zu Beginn der russischen Krim-Besetzung einen alternativen „Offenen Krimkanal“ einrichtete. Im Laufe der Festnahme wurden Paschajew und sein Kameramann Dschengis Kysgin geschlagen und ihr Arbeitsgerät entwendet. Nach seiner Freilassung hat Paschajew die Krim verlassen, da ein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden sollte.
Ebenfalls in Simferopol nahm am Montag eine bewaffnete Bürgerwehr Petr Ruzanow vom kremlkritischen russischen Fernsehsender TV Doschd fest. Dabei wurde der Journalist getreten, Teile seiner Ausrüstung wurden zerstört.
Im Osten der Ukraine wurden am Montag Oleg Sidjakin und Marat Sajtschenko, Korrespondent und Kameramann des russischen Fernsehkanals Lifenews von der ukrainischen Armee festgenommen. Sie sollen eine pro-russische Miliz begleitet haben, die ein Flugfeld bei Kramatorsk (Donezker Gebiet) besetzen wollte. Die Vizechefin des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates bezichtigte die Journalisten, sei seien Teil einer „Terrorgruppe“ gewesen.
Der von prorussischen Separatisten entführte und über drei Wochen lang in Donezk festgehaltene ukrainische Journalist Serhij Schapowal wurde mit Elektroschocks und Messerschnitten in die Hände dazu gezwungen, vor laufender Kamera die Separatisten als unbewaffnete Zivilisten zu beschreiben, bevor sie ihn am 18. Mai freiließen. Die Aufnahmen wurden anschließend im Lokalfernsehen ausgestrahlt.
Ebenfalls in Donezk wurde am 6. Mai die ukrainische Fotografin Milana Omeltschuk von Separatisten entführt und bis zum 18. Mai festgehalten. Während ihrer Gefangenschaft wurde sie mit Drogen ruhiggestellt und bekam nur alle zwei Tage Essen. Die Entführer verlangten Lösegeld von der Familie der Journalistin und ließen sie erst frei, als deutlich wurde, dass die Familie das Geld nicht würde aufbringen können.
Im ostukrainischen Slawjansk wurde der deutsche Journalist Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung von einem russischen Kollegen bedroht, nachdem er über Wahlbetrug beim umstrittenen Referendum der Separatisten berichtet hatte. Per Twitter rief Dmitrij Steschin, der für die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda schreibt, prorussische Milizen zur Entführung Ronzheimers auf. Ronzheimer musste daraufhin aus Slawjansk fliehen. Steschin befindet sich angeblich unter den knapp 300 russischen Journalisten, die für „Objektivität und Professionalität in der Berichterstattung über die Ereignisse in der Republik Krim“ einen Orden von Präsident Wladimir Putin erhalten sollen.
ROG übernimmt im Rahmen seiner Nothilfearbeit die Kosten medizinischer Behandlung für mehrere verletzte Journalisten und hilft, zerstörte Ausrüstungsgegenstände von Redaktionen zu ersetzen.
Die Ukraine steht auf Platz 127 von 180 Ländern in der ROG-Rangliste der Pressefreiheit. Weitere Informationen zur Pressefreiheit in der Ukraine finden Sie auf unserer Länderportalseite.
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