Ungarn
25.04.2018
Deutsche Korrespondenten auf Schwarzer Liste
Reporter ohne Grenzen ist empört über Listen unliebsamer Journalisten in der staatsnahen ungarischen Presse, mit denen Korrespondenten vor allem ausländischer Medien eingeschüchtert werden sollen. Vor wenigen Tagen traf dies Keno Verseck, der für Spiegel Online und die Deutsche Welle berichtet, zuvor unter anderem einen ungarischen Mitarbeiter des ZDF. ROG fordert deutsche und europäische Politiker dazu auf, sich deutlich von solchen Praktiken zu distanzieren und Premier Viktor Orban zur Achtung der Pressefreiheit als demokratischem Grundprinzip anzuhalten.
„Schwarze Listen von Journalisten zu erstellen, um sie zum Schweigen zu bringen, erinnert an die dunkelsten Zeiten europäischer Geschichte“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Derartige Hetze bereitet den Boden für Taten wie den Mord an Jan Kuciak in der Slowakei. Wenn die Europäische Kommission dem tatenlos zusieht und einige CSU-Politiker Orban sogar offen unterstützen, ist das in höchstem Maße fahrlässig.“
Regierung bezichtigt Korrespondenten der Lüge
In der vergangenen Woche hatte die regierungstreue Tageszeitung Magyar Idök mehrere ausländische Korrespondenten angegriffen, darunter den freien Journalisten Keno Verseck, der für Spiegel Online und die Deutsche Welle aus Ungarn berichtet. Menschen wie er würden wie Knechte „die widerwärtigsten Lügen der ultraliberalen Opposition“ ungefiltert an ein Millionenpublikum verbreiten. Dagegen müsse die ungarische Regierung etwas unternehmen, so Magyar Idök in einem Artikel.
Namentlich angegriffen werden in dem Text außerdem der Korrespondent des Schweizer Tages-Anzeigers, Bernhard Odehnal; der Korrespondent des Österreichischen Rundfunks ORF, Ernst Gelegs; die Wiener Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung, Meret Baumann; der Korrespondent der österreichischen Tageszeitung Der Standard, Gregor Mayer, und die ehemalige Korrespondentin der französischen Tageszeitung Liberation, Florence La Bruyere. Anlass für die Beschimpfungen war ein provokatives Interview in den Niederlanden, das der Journalist Eric Smit im öffentlich-rechtlichen Sender NPO Radio 1 mit der niederländischen Politikerin Judith Sargentini geführt hatte. Sargentini hatte im Europaparlament einen kritischen Bericht zum Zustand der ungarischen Demokratie vorgelegt.
Schwarze Liste mit Namen unliebsamer Journalisten
Ähnliche Listen kursierten bereits mehrfach in ungarischen Medien. Am 12. April, wenige Tage nach dem erneuten Sieg der Fidesz-Partei bei den Parlamentswahlen, veröffentlichte das regierungsnahe Wochenblatt Figyelö unter der Überschrift „Die Leute des Spekulanten“ eine Liste mit mehr als 200 Namen ungarischer Akademiker, Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und bezeichnete sie als „Söldner“ des ungarnstämmigen US-Milliardärs George Soros. Auf der Liste standen auch etliche Journalisten, darunter die gesamte Redaktion des investigativen Nachrichten-Portals Direkt36.hu. Sie hatte in den vergangenen Jahren über zahlreiche Korruptionsfälle aus dem Umfeld von Viktor Orban, dessen Familie und der Regierungspartei Fidesz berichtet und damit mehrfach Ermittlungen des EU-Antibetrugsamtes OLAF ausgelöst.
Im September 2017 war auf dem regierungsnahen Portal 888.hu eine Liste mit Namen ungarischer oder ungarisch-stämmiger Journalisten erschienen, die „voreingenommene, brandmarkende Propaganda“ über Orban und seine Regierung verbreiten würden und im Dienst von George Soros stünden. Darauf fanden sich ein ungarischer ZDF-Mitarbeiter ebenso wie Vertreter der Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg sowie der US-amerikanischen Zeitung Politico. Neben den Journalisten wurden auch ungarische Medien wie die regierungskritischen Nachrichtenportale Atlatszo.hu und 444.hu als Soros-Sprachrohre bezeichnet. Die Orban-Regierung unterstellt George Soros, die Einwanderung von Muslimen nach Europa bewusst zu organisieren und zu finanzieren und so die christliche Kultur zerstören zu wollen.
Geplante "Stop Soros" - Gesetze Gefahr für Journalisten
Die Berichterstattung ausländischer Korrespondenten ist der ungarischen Führung ein Dorn im Auge, da sie sich weniger leicht kontrollieren lässt als die nationaler Medien. Fidesz-Politiker geben kritischen Journalisten oft generell keine Interviews und schließen sie von Pressekonferenzen aus, können aber darüber hinaus bisher wenig Einfluss auf die Arbeit ausländischer Medien ausüben. Eine ernsthafte Gefahr könnte jedoch ein Paket von drei Gesetzen unter dem Titel „Stop-Soros“ sein, deren Verabschiedung das ungarische Parlament Anfang Mai plant. Danach sollen Menschen ausgewiesen werden können, die „illegale Migration fördern“. Darunter könnten unter Umständen auch Journalisten fallen, die über Flüchtlingsthemen oder die Asylpraxis in Ungarn berichten.
Die innerungarische Medienlandschaft hat die Regierung Orban seit ihrem Amtsantritt 2010 radikal zu ihren Gunsten umgestaltet: Die öffentlich-rechtlichen Sender fasste sie in der staatseigenen Medienholding MTVA zusammen. Zu dieser gehört auch die einzige Nachrichtenagentur des Landes MTI, die den Rundfunk kostenlos mit Material beliefert. Teilweise übernehmen Redaktionen wörtlich vorgefertigte Stücke der Regierung in ihr Programm. Auch die regionale Presse, die für die öffentliche Meinungsbildung von zentraler Bedeutung ist, ist seit dem Sommer 2017 vollständig im Besitz Orban-freundlicher Unternehmer. Regierungskritische und investigative Berichterstattung findet über Online-Portale wie 444.hu, direkt36.hu, atlatszo.hu eine deutlich kleinere Leserschaft.
Letzte Orban-kritische Tageszeitung geschlossen
Noch geringer ist die Pressevielfalt in Ungarn, seit vor zwei Wochen die letzte überregionale Zeitung, die nicht von der Regierung kontrolliert wird, ihre Arbeit eingestellt hat. Die Tageszeitung Magyar Nemzet gehörte dem Unternehmer Lajos Simicska und hatte Partei gegen die Regierung eingenommen, seit sich Simicska 2014 mit seinem früheren Schulfreund Viktor Orban entzweit hatte. Zwei Tage nach der Wiederwahl Orbans zum Regierungschef am 8. April kündigte Simicska überraschend an, die Zeitung nicht länger zu finanzieren. Auch Lanchid Radio, will Simicska nicht mehr betreiben – es war der letzte nicht von Orban-Freunden kontrollierte landesweite Radiosender.
Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit, die ROG heute veröffentlicht hat, ist Ungarn erneut um 2 Plätze gefallen und steht nun auf Rang 73. Seit dem Amtsantritt Viktor Orbans 2010 hat sich das Land damit um 50 Plätze verschlechtert – das ist in Europa ohne Beispiel.
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