USA
02.11.2018
US-Politiker haben Verantwortung
Anlässlich der Kongresswahlen in den USA am 6. November ruft Reporter ohne Grenzen (ROG) die politischen Akteure im Land dazu auf, sich für Pressefreiheit einzusetzen und Angriffe auf Medien und Journalisten zu verurteilen. Die vergangenen Monate waren geprägt von Aggressivität und Attacken gegenüber Journalisten, bis hin zu Morddrohungen und körperlicher Gewalt. In diesem Jahr gab es in den USA 40 tätliche Angriffe auf Journalisten. Befeuert wurde die feindselige Stimmung vor allem von US-Präsident Donald Trump, aber auch von republikanischen Kongressabgeordneten und Kandidaten, die Trumps Pauschalverurteilungen gegenüber den Medien ins Lokale trugen.
„Die zahlreichen Angriffe auf Lokaljournalisten sind die direkte Folge der verbalen Angriffe von US-Präsident Trump und seinen Parteifreunden gegenüber den Medien“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Sie müssen verstehen, welche Folgen ihre feindselige Rhetorik für die Journalisten im Land und damit für die Freiheit der Presse hat. Wenn Journalisten aus Angst nicht mehr frei berichten, beschädigt das die unerlässliche Kontrollfunktion der Medien in einer Demokratie. Das schadet der gesamten Gesellschaft, egal welchem politischen Lager der Einzelne angehört.“
Beschimpfungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen
40 Journalisten wurden in diesem Jahr bislang in den USA körperlich angegriffen, so die Statistik auf der Webseite U.S. Press Freedom Tracker, die von mehr als 20 Pressefreiheitsorganisationen betrieben wird, darunter auch ROG. 2017 waren es 45. Fünf Journalisten wurden ermordet, darunter vier beim Anschlag auf die Lokalzeitung Capital Gazette in Annapolis, Maryland am 28. Juni. Hinzu kommen zahlreiche Fälle von Beschimpfungen und Bedrohungen - persönlich wie über das Internet - sowie Sachbeschädigungen.
Der prominenteste Fall der vergangenen Wochen war die Briefbombe, die am 24. Oktober beim New Yorker Büro des Nachrichtensenders CNN einging. Der fanatische Trump-Fan Cesar Sayoc hatte diese sowie zwölf weitere Rohrbomben an prominente Kritiker des US-Präsidenten geschickt. Nachdem CNN-Chef Jeff Zucker Trump und seiner Pressesprecherin Sarah Sanders vorgeworfen hatte, mit ihren Angriffen auf die Medien Schaden anzurichten, warf Sanders Zucker vor, er sei derjenige, der angreife und das Land spalte.
Videoreporter Chris Post von WFMZ-TV in Alllentown, Pennsylvania, schilderte diese Woche der Nachrichtenagentur AP, wie ein Mann ihn mit seinem Auto ins Visier nahm und erst kurz vor dem Zusammenprall stoppte. Auch habe man versucht, ihm die Kamera zu entreißen, obwohl er sehr groß und kräftig sei. Der AP-Mitarbeiter Joshua Replogle, ebenfalls Videojournalist, wurde in North Carolina von einem Mann ins Gesicht geboxt, während dessen Freunde „Fake News“ ausriefen, seine Kamera wurde umgestoßen. Replogle hatte lediglich vorgehabt, die Schäden nach Hurrikan Florence zu filmen.
Die Kamerafrau Lori Bentley-Law von KNBC-TV aus Los Angeles hat kürzlich in ihrem Blog verkündet, ihren Job nach 24 Jahren aufzugeben und unter anderem auch den ungefilterten Hass, der ihr entgegenschlage, als Grund. Kürzlich habe eine Frau sie beschimpft, ihr Waffengewalt angedroht und versucht, in den Übertragungswagen einzudringen. Kurz danach habe ein Auto auf dem Highway den Ü-Wagen über mehrere Ausfahrten vom Abfahren abgehalten. Zuletzt habe ein Ladenbetreiber, den sie interviewen wollte, ihre Crew als Lügner beschimpft und sie rausgeworfen. „Die Einstellungen ändern sich und die Berichterstatter vor Ort bekommen die Aggressionen mit voller Wucht ab“, schrieb Bentley-Law.
Die Radio Television Digital News Association (RTDNA) hat die Attacken zum Anlass genommen, Sicherheits- und Selbstverteidigungsempfehlungen für Journalisten herauszugeben. Zudem empfiehlt sie Redaktionen, auf den Einsatz von alleine arbeitenden Multimedia-Reportern zu verzichten.
Angriffe auf Journalisten in ihrem lokalen Umfeld sind in den USA kein neues Phänomen, aber sie haben in der aufgeheizten Atmosphäre der vergangenen Monate an Intensität und Frequenz zugenommen. Angeheizt wird die Stimmung in erster Linie vom US-Präsidenten selber. Seit seinem Amtsantritt hat er Medien bei zahlreichen Anlässen beispielsweise als „Fake News“, „sehr unehrlich“, „betrügerisch“ und „absoluten Abschaum“ bezeichnet, Journalisten als „Volksfeinde“ diffamiert.
Politiker folgen Trumps Beispiel im Lokalen
Im Lokalen zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass etliche Politiker Trumps Beispiel folgen. Der republikanische Kongressabgeordnete Devon Nunes aus Kalifornien verschickte Anfang Oktober eine 38-seitige Hochglanzbroschüre an 100.000 Wähler, in der er die Berichterstattung der Zeitung The Fresno Bee über seine politischen Tätigkeiten anprangerte und das Blatt als „Propagandamaschine“ diffamierte. Nunes hatte die Zeitung und ihren langjährigen Reporter Lewis Griswold schon früher immer wieder attackiert.
Der Chefredakteur der der Storm Lake Times aus Iowa, Art Cullen, vergangenes Jahr mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, erklärte kürzlich gegenüber dem Tagesspiegel, seine Zeitung werde von den mehrheitlich republikanischen Abgeordneten in Iowa angegriffen, die ihn als „Lieferanten von Fake News“ bezeichneten und nicht mehr mit ihm sprächen.
Bereits im Mai 2017 hatte der republikanische Kongressabgeordnete Greg Gianforte aus Montana den Reporter der britischen Tageszeitung The Guardian Ben Jacobs zu Boden gerungen, als dieser ihm eine Frage stellen wollte. Präsident Trump lobte Gianforte am 18. Oktober auf einer Wahlkampfveranstaltung für seine Aktion. Gianforte hatte sich allerdings bereits kurz nach dem Angriff bei dem Journalisten entschuldigt.
3,2 Millionen US-Amerikaner leben in Landkreisen ohne Lokalzeitung
Diese Attacken geschehen in einer Zeit, in der der Lokaljournalismus in den USA ohnehin schon schwer angeschlagen ist. Die Zahl der Zeitungen im Land ist einer Studie der University of North Carolina zufolge seit 2004 um rund 1.800 auf etwa 7.100 gesunken. In fast der Hälfte der 3.143 Landkreise in den USA gibt es demnach nur noch eine Lokalzeitung, in 171 Landkreisen mit 3,2 Millionen Einwohnern gar keine mehr. Die meisten der rund 7.100 Lokalzeitungen erscheinen nicht mehr täglich, in vielen Bundesstaaten des Kernlands gibt es gar keine Tageszeitungen mehr.
Die überlebenden Tageszeitungen haben schwer mit Kostendruck zu kämpfen und mussten in vielen Fällen drastisch Personal reduzieren. Das habe zur Folge, dass die Zeitungen immer seltener selbst zu den Kandidatinnen und Kandidaten recherchieren könnten, sagte Andrew Conte von der Point Park University in Pittsburgh der taz. Sie übernähmen vor allem Agenturtexte und auch die Autorentexte enthielten keine Eigenrecherchen.
Kampagne #DefendPressFreedom soll Politiker und Bevölkerung wachrütteln
Im September startete ROG zusammen mit 23 weiteren Organisationen die Kampagne #DefendPressFreedom, um die US-Bevölkerung für die Unerlässlichkeit der Pressefreiheit in einer Demokratie zu sensibilisieren. Auf der Kampagnenseite werden Nutzern Vorlagen angeboten, mit denen sie ihre lokalen Kandidaten zu ihrer Haltung zur Pressefreiheit befragen können. Die dezidiert unparteiliche Aktion soll die US-Bürger daran erinnern, dass Einschränkungen der Pressefreiheit sie alle betreffen, egal welche politische Einstellung sie haben, da sie nur bei freier Berichterstattung informierte Wahlentscheidungen treffen und ihre politischen Vertreter zur Verantwortung ziehen können. Den Politikern soll zugleich die Wichtigkeit unabhängiger, freier Medien vor Augen geführt werden.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die USA auf Platz 45 von 180 Staaten, zwei Plätze niedriger als 2017.
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