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Rangliste der Pressefreiheit — Platz 10 von 180
Deutschland 26.01.2023

Neue Verfassungsbeschwerde gegen BND-Gesetz

Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts von aussen bei strahlend blauem Himmel. Im Vordergrund ist der Schriftzug Bundesverfassungsgericht auf einem Sockel angeschlagen zu sehen.
Blick auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. © picture alliance / dpa / Uli Deck

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben erneut Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe eingereicht. Mit Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten wehren sie sich gegen die globale Überwachung des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Nach der ersten Beschwerde beider Organisationen erklärte das Gericht im Mai 2020 in einem wegweisenden Urteil weite Teile der Auslandsüberwachung des BND für grundrechtswidrig. Jedoch wird auch das reformierte BND-Gesetz den Anforderungen aus Karlsruhe nicht gerecht. Zudem hat der Gesetzgeber neue verfassungswidrige Regelungen in das Gesetz aufgenommen.

„Seit den ersten Enthüllungen, die das Ausmaß der weltweiten Überwachung durch Geheimdienste offenlegten, sind bald zehn Jahre vergangen. An der Überwachungspraxis änderte sich wenig. Wir kämpfen noch immer um ein Minimum an Schutz für Journalistinnen und Journalisten vor unrechtmäßigen Abhöraktionen – auch bei deutschen Behörden wie dem BND“, sagte Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei RSF. „Der Massenüberwachung und schrankenlosen Ausweitung der Befugnisse der Nachrichtendienste muss ein Ende gesetzt werden. Das wurde durch den Gesetzgeber bislang verfehlt.“

Journalistinnen und Journalisten sind nach wie vor nicht ausreichend vor Überwachung durch den BND geschützt. Das betrifft vor allem die vertrauliche Kommunikation mit ihren Quellen. Auch sind journalistische Recherche-Ergebnisse für den BND nicht eindeutig tabu. Während deutsche Medienschaffende einen höheren Schutz genießen, sind Journalistinnen und Journalisten aus der EU und dem Nicht-EU-Ausland umso einfachere Überwachungsziele für den BND.

„Dass wir drei Jahre nach einem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts das gleiche Gesetz vor dem gleichen Gericht erneut angreifen müssen, ist ein rechtsstaatlicher Skandal. Zumal das Gesetz heute mehr verfassungswidrige Vorschriften denn je enthält“, kritisierte Bijan Moini, Verfahrenskoordinator und Leiter des Legal Teams der GFF. „Unter dem Deckmantel der strategischen Informationsgewinnung im Ausland darf der BND jetzt zum Beispiel tiefgreifende, auf Einzelpersonen zugeschnittene Überwachungsmittel wie den Staatstrojaner einsetzen, ohne nennenswerte Einschränkungen.“

Urteil aus Karlsruhe bei der Reform des BND-Gesetzes missachtet

Das im Mai 2020 verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts klärte eine für den internationalen Menschenrechtsschutz bedeutende Grundsatzfrage: Die Bindung der Bundesregierung an das Grundgesetz sei "nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt." Grundrechte wie das Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 GG) und die Pressefreiheit (Artikel 5 GG) sind von deutschen Behörden auch im Ausland zu achten. Demnach sollte es verboten sein, ausländische Medienschaffende nach Belieben zu überwachen, und auch die Weitergabe von Recherche-Ergebnissen an ausländische Geheimdienste sollte an strenge Voraussetzungen geknüpft werden. Die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten sollte gesetzlich geschützt werden. RSF bezeichnete das damalige Urteil als einen Meilenstein zum Schutz der Pressefreiheit.

Bei der anschließenden Reform des BND-Gesetzes setzte sich der Gesetzgeber der ehemals Großen Koalition jedoch über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweg. Neue verfassungswidrige Regelungen wurden in das Gesetz aufgenommen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen mehrere Aspekte, die einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das IT-Grundrecht darstellen.

Kritikpunkte der Verfassungsbeschwerde

Unzureichend ist zum einen der Schutz von Daten, die im Rahmen von journalistischen Vertraulichkeitsbeziehungen und bei der Kommunikation mit Kontaktpersonen entstehen. Nach dem BND-Gesetz darf die Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten mit einer Quelle nicht überwacht werden, wohl aber die Kommunikation über diese Quelle. Damit würden Inhalte beispielsweise von E-Mails nicht erfasst, Verkehrsdaten – die Erkenntnisse darüber geben, wer mit wem wann wie und wie lange kommuniziert – sind jedoch nicht geschützt. Gerade die Menge und Verknüpfung solcher Metadaten gibt tiefe Einblicke in die Tätigkeiten und Vorlieben einer Person. Besorgniserregend ist zudem, dass sich der Schutz der Vertraulichkeitsbeziehung lediglich auf den eigentlichen Kommunikationsvorgang erstreckt. Recherche-Ergebnisse sind damit nicht geschützt und könnten dem BND Einsicht in Publikationsabsichten geben.

Das reformierte BND-Gesetz schützt Menschen unterschiedlich vor Überwachung abhängig von ihrer Nationalität und ihrem Wohnort. Kommunikation von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern darf der Auslandsgeheimdienst eigentlich nicht abfangen. Allerdings enthält das BND-Gesetz eine neue Befugnis, die „Maschine-Maschine-Kommunikation“. Diese Erfassung der Verkehrsdaten zwischen Geräten und Diensten, etwa beim Online-Banking, bei Hotelbuchungen oder der Navigation, sind an keine Voraussetzungen geknüpft. Sie können also auch von Deutschen erfasst werden und Einblicke in zahlreiche Lebensrealitäten und das Sozialverhalten geben. EU-Institutionen und EU-Bürgerinnen und -Bürger können somit fast schrankenlos durch den BND überwacht werden; mit dem Zweck der Gefahrenfrüherkennung sogar unbefristet.

Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland sind vor Überwachung nur solange geschützt, wie sie sich in Deutschland aufhalten. Verlassen Medienschaffende im Exil für Recherchen die Bundesrepublik auch nur für eine kurze Zeit, werden sie für den BND zu potenziellen Überwachungszielen. Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Wohnsitz im Ausland, etwa in der Türkei oder in den USA, darf der BND mittels Staatstrojaner überwachen, soweit dies für politische Informationen der Bundesregierung oder zur Gefahrenfrüherkennung erforderlich ist. Sie sind damit gesetzlich am wenigsten geschützt. Das bedeutet: Medienschaffende, die für ihre regierungskritische Arbeit in autoritären Staaten besonders bedrängt, verfolgt und eingeschüchtert werden, geraten zusätzlich durch deutsche Behörden ins Visier. Es ist aus Sicht von Reporter ohne Grenzen völlig unverständlich, warum die deutsche Bundesregierung ausländischen Journalistinnen und Journalisten den Schutz vor Überwachung verweigert. Das Problem wird in Zukunft noch gravierender, weil der BND seine Erkenntnisse auch an ausländische Geheimdienste weiterleiten darf.

Beschwerdeführende befürchten globale Massenüberwachung

Zu den insgesamt 20 Beschwerdeführenden gehören Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten aus dem Nicht-EU-Ausland, der EU und Deutschland, darunter Awil Abdi Mohamud (Somalia), Dragana Pećo (Serbien), Goran Lefkov (Nordmazedonien), Can Dündar (Türkei), Szabolcs Panyi (Ungarn), Meron Estefanos (Schweden), Peter Verlinden (Belgien) und Sara Creta (Italien). Drei weitere Personen unterstützen die Beschwerde anonym. Sie arbeiten überwiegend investigativ und überregional, die meisten zu Korruption, Steuerbetrug, organisierter Kriminalität sowie Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Menschenhandel und genozidaler Gewalt. Dies sind Themen, die zum Aufklärungsauftrag des BND gehören. Einige der Beschwerdeführenden waren bereits in der Vergangenheit von staatlicher Überwachung betroffen, etwa durch die Spähsoftware „Pegasus“, die unbemerkt sämtliche Daten von digitalen Geräten abgreifen kann.

Zu den deutschen Beschwerdeführenden zählen die Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten Eva Schulz, Kerem Schamberger, Martin Kaul, Christian Mihr, Nora Markard und Ulf Buermeyer. Sie befürchten, dass der BND die automatisierten Kommunikationsvorgänge all ihrer technischen Geräte abgreift und auswertet.

RSF und GFF erheben die Verfassungsbeschwerde auch im eigenen Namen als betroffene Organisationen. Ebenso zählt die internationale Organisation von Reporter ohne Grenzen mit Sitz in Paris zu den Beschwerdeführenden. Da die Organisationen intensiven Kontakt zu Klägerinnen, Journalisten und Politikerinnen auf der ganzen Welt pflegen, kann ihre Kommunikation für den Auftrag des Bundesnachrichtendienstes relevant sein.

Die Verfassungsbeschwerde verfasste Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie steht im Zusammengang mit weiteren Verfahren von Reporter ohne Grenzen gegen die unrechtmäßige Überwachung durch deutsche Geheimdienste. Dazu zählt etwa die anhängige Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen den BND, die im Januar 2021 zur Entscheidung angenommen wurde. RSF macht dort unter anderem geltend, dass ihr Recht auf wirksame Beschwerde verletzt wurde. Denn der größte Teil der von Überwachung Betroffenen erfährt nicht einmal im Nachhinein, dass etwa ihre E-Mails erfasst und durchsucht wurden. Zudem klagt RSF zusammen mit investigativen Journalistinnen und Journalisten vor verschiedenen deutschen Verwaltungsgerichten für ein Verbot des Einsatzes von Staatstrojanern durch den BND, das Bundesamt (BfV) sowie die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Ziel ist es, die Arbeit der Geheimdienste auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen und damit die Pressefreiheit weltweit zu schützen.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Fabio Niewelt (RSF), presse@reporter-ohne-grenzen.de Tel: 0151/72480936

Maria Scharlau (GFF), presse@freiheitsrechte.org Tel. 030/549 08 10 55

Weitere Informationen zu unserem Fall finden Sie hier:

BND-Gesetz zur Ausland-Ausland-Überwachung (externer Link zur GFF)



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