Deutschland
02.02.2024
Viele Übergriffe auf Medienschaffende im Januar
Verfolgt, beschimpft und angegriffen: Zum bisher brutalsten Übergriff auf Medienschaffende in Deutschland in diesem Jahr kam es am 24. Januar in Leipzig. Nach einer Pro-Palästina-Demonstration verprügelten drei Unbekannte einen Videojournalisten und seinen Begleiter so schwer, dass diese mit Prellungen und Verletzungen am Kopf in ein Krankenhaus gebracht werden mussten. Selbst als der Journalist am Boden lag, hatten die Angreifer weiter auf ihn eingetreten. Der Vorfall zeigt die anhaltend hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Medienschaffenden in Deutschland. Bereits nach Ablauf des ersten Monats des Jahres 2024 prüft RSF neun Hinweise auf gewaltsame Übergriffe.
„Erneut zeigt sich, was die zunehmende Hetze gegenüber Medienschaffenden auslösen kann – nämlich auch mehr Gewalt“, sagt Katja Gloger, RSF-Vorstandssprecherin. „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass mittlerweile fast wöchentlich Kamerateams, Journalistinnen und Reporter angegriffen werden. Gewalt gegen Medienschaffende ist inakzeptabel!“
Gewalt aus der rechten Szene
Drei dokumentierte Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten kamen aus der rechten Szene. Am 13. Januar bedrohten und bedrängten Teilnehmer eines Neonazi-Treffens im hessischen Biskirchen anwesende Medienschaffende vom Netzwerk Recherche Nord. Der hessische Landesvorsitzende der Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN), Thassilo Hantusch, ließ sich dabei filmen, wie er nach den Journalisten und ihrer Ausrüstung trat und schlug. Am 21. Januar attackierte eine Gruppe vermummter Männer einen Blogger aus Dortmund, der seit längerem die rechte Szene in seiner Nachbarschaft dokumentiert. Die Polizei nahm 13 Verdächtige fest, einige sind dem Staatsschutz bereits als rechtsextrem bekannt. Am 3. Januar beschmierten Unbekannte zudem die Geschäftsstelle des Eichsfelder Tageblatt im niedersächsischen Duderstadt mit Hakenkreuzen.
Gefährlich sind auch die Aufforderungen der AfD und ihrer Anhängerschaft in den sozialen Medien, Mitarbeitende der Rechercheplattform Correctiv „in die Schranken zu weisen“. Diese Formulierung kann als indirekter Aufruf zur Gewalt verstanden werden und geht weit darüber hinaus, wie eine politische Partei mit unliebsamer Medienberichterstattung umgehen sollte. Die Rechercheplattform hatte enthüllt, dass AfD-Mitglieder an einem Treffen in Potsdam teilgenommen hatten, bei dem offenbar Pläne für die Ausweisung unter anderem von Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern geschmiedet wurden.
Angriffe am Rande von Pro-Palästina-Demonstrationen
Drei dokumentierte Übergriffe auf Medienschaffende gab es auch am Rande von Pro-Palästina-Demonstrationen. Am 17. Januar schlug ein Teilnehmer am Roten Rathaus in Berlin mit seiner Fahnenstange auf das Mobiltelefon eines Reporters. Bei einer Demo am 21. Januar am Berliner Platz der Republik schlug ein Teilnehmer ebenfalls mit einer Fahnenstange auf das Kameraobjektiv eines Pressefotografen. Der brutalste Angriff fand am 24. Januar in Leipzig statt. Der angegriffene Journalist war für den privaten Sender Sachsen Fernsehen vor Ort und wurde von einem Freund begleitet. Unter den Angreifern soll ein Ordner der Demonstration gewesen sein, der während der Kundgebung versucht habe, den Journalisten am Filmen zu hindern. Die Veranstalterinnen und Veranstalter der Demonstration distanzierten sich in einer Instagram-Story von der Gewalttat; keiner der Täter sei an diesem Abend bei der Demo als Ordner tätig gewesen. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung, auch der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen.
Weitere Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten
Auch bei anderen Veranstaltungen wurden Medienschaffende angegriffen. Ein Vorfall ereignete sich am Rande eines Bauernprotests am 8. Januar in Südbrandenburg. Demonstrierende schlugen dort auf den Übertragungswagen eines rbb24-Teams. Am 15. Januar fuhr ein wütender Autofahrer einen Lokalreporter an, der über eine Aktion der „Letzten Generation“ in Halle berichtete. Am 23. Januar riss zudem im Flieth-Stegelitzer Ortsteil Afrika in Brandenburg ein Anwohner den Kameramann eines rbb-Teams zu Boden und drohte mit weiterer Gewalt.
Um Reporterinnen und Reporter besser zu schützen, hat RSF zusammen mit Partnerorganisationen einen Schutzkodex entwickelt. Darin sind praktische Maßnahmen für Medienhäuser formuliert, mit denen sie ihre Mitarbeitenden besser vor Hass und Hetze auf Social Media, Morddrohungen per E-Mail oder körperlichen Übergriffen auf der Straße schützen können. RSF ruft alle deutschen Medienhäuser dazu auf, diesem Schutzkodex beizutreten.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Deutschland in den vergangenen Jahren abgesunken. Das hat auch mit der steigenden Zahl an Übergriffen auf Medienschaffende zu tun: 2019 hatte RSF 13 Fälle gezählt, 2022 waren es 103. Auf der aktuellen Rangliste steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern.
Hinweis: Für Samstag (03.02.) ruft das Netzwerk „Hand in Hand“ zu einer Menschenkette um den Bundestag auf, auf der auch Martin Kaul, ehrenamtlicher Vorstandssprecher für Reporter ohne Grenzen, sprechen wird. Beginn ist um 13 Uhr.
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