Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick
Zusammenfassung
Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Lage der Pressefreiheit in Deutschland nicht grundlegend verändert. Infolge des starken Rückgangs von Corona- sowie rechtsextremen Demonstrationen ist zwar die Zahl der physischen Übergriffe gegen Medienschaffende rückläufig. Dennoch ist die Zahl immer noch fast dreimal so hoch wie 2019 (13).
Schwerpunkt der öffentlichen Debatten waren 2023 die Auseinandersetzungen um die gesetzlichen Grundlagen der Informationsfreiheit, in Deutschland und auf EU-Ebene. Die wichtigsten Reformvorhaben auf EU-Ebene (European Media Freedom Act und Digital Services Act) sind mittlerweile verabschiedet und müssen in Deutschland umgesetzt werden. Strittig sind unter anderem der staatliche Einsatz von Spähsoftware, der den Quellenschutz journalistischer Arbeit durchlöchert, sowie Regelungen im Spannungsfeld zwischen einerseits Verhinderung von Desinformation und Verleumdungen auf Plattformen und andererseits den Rechten von Nutzenden, Whistleblowern sowie Journalistinnen auf Anonymität.
Vorreiter ist Deutschland bei der Durchsetzung und Erweiterung des Völkerstrafrechts: Im weltweit ersten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia wurde ein in Deutschland lebender ehemaliger Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt. Gesetzliche Verbesserungen zugunsten von Nebenklägern und ausländischen Beobachtern künftiger Prozesse sind in der Bundesregierung in Arbeit.
RSF drängt mit seiner politischen Arbeit intensiv auf verbesserte rechtliche Bedingungen für Journalistinnen und Journalisten. So zielt eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf mehr Beschränkungen für Überwachung der Kommunikation von Medienschaffenden durch „Staatstrojaner“.
Im Vordergrund der publizistischen Auseinandersetzung stand das ganze Jahr 2023 über der Streit um die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die anstehende Anpassung des Rundfunkbeitrags an die Inflation stößt auf Widerstand einer Reihe von Landesregierungen. Alle Landesparlamente müssen diese beschließen. Etliche Ministerpräsidentinnen und -präsidenten fordern stattdessen tiefgreifende Strukturreformen und eine Verkleinerung von ARD und ZDF.
Gewalt gegen Berichtende und Redaktionen
Für das Kalenderjahr 2023 hat Reporter ohne Grenzen (RSF) insgesamt 41 Angriffe auf Medienschaffende und Redaktionen dokumentiert und geprüft. Damit ist die Zahl der Übergriffe im Vergleich zu den unmittelbaren Vorjahren deutlich gesunken: 2022 gab es 103 Angriffe, 2021 waren es 80 (siehe Abbildung).
Entwicklung der Angriffe auf Journalist*innen und Medien
Auch wenn die Zahlen sinken, bleiben sie im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie vergleichsweise hoch: 2018 wurden 22 Medienschaffende Opfer von Gewalt, 2019 waren es nur 13. Die Fluktuation spiegelt die jeweilige Stimmung gegenüber Journalistinnen und Journalisten in diesen Jahren. Noch gibt es keine stabile Umkehr des Negativ-Trends.
Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer. Reporter ohne Grenzen sammelte im Jahr 2023 über die Zahl von 41 Übergriffen hinaus noch viele weitere Fälle von Gewalt gegen Medienschaffende, die jedoch – meist aufgrund fehlender Zeuginnen oder Zeugen – nicht verifiziert werden konnten. Auch eine Zählweise mit sorgfältiger Recherche kann strikt wissenschaftlichen oder juristischen Kriterien nicht genügen, da es vielfach nur Schilderungen, aber keine Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gibt. Dennoch versucht RSF, mit aufwändiger Recherche und Verifizierung einen gesellschaftlichen Überblick herzustellen, der das Dunkelfeld von Gewalt gegen Medienschaffende so gut wie möglich erhellt.
Am häufigsten waren im Jahr 2023 Tritte und Schläge, auch mit Gegenständen wie Fackeln oder Trommelklöppeln. Als Angriff gewertet wurden diese, sofern sie Körper oder Ausrüstung von Journalistinnen und Journalisten tatsächlich getroffen haben. Medienschaffenden wurde auch Ausrüstung entrissen, sie wurden zu Boden gerissen, mit Sand und Steinen beworfen oder mit Fäkalien beschmiert.
So wurden die Journalist*innen angegriffen
Besonders besorgniserregend war im Februar 2024 eine neue Form von Angriff auf die Pressefreiheit. RSF dokumentierte fünf Fälle in verschiedenen Städten, bei denen in nächtlichen Aktionen die Zufahrten von Presseverteilzentren und Druckereien unter anderem mit Traktoren zugestellt wurden, um die Auslieferung von Zeitungen zu verhindern. Betroffen waren der Hamburger Zeitungsvertrieb, die Allgäuer Zeitung, der Schwarzwälder Bote, die Nordsee-Zeitung und die Springer-Druckerei in Ahrensburg. Zuletzt blockierten Landwirtinnen und Landwirte am 29. Februar ein Druckzentrum bei Villingen-Schwenningen in Baden- Württemberg mit Traktoren und abgeladenem Mist. Als Grund wird auf Versammlungen Unzufriedenheit mit der Berichterstattung über die bisherigen Protestaktionen angegeben.
Ein Zeichen gegen die vorherrschende Straflosigkeit bei gewalttätigen Übergriffen gegen Medienschaffende setzte dagegen am 8. Januar 2024 ein Urteil des Berliner Amtsgerichts Tiergarten. Am Rande einer Demonstration der Querdenkerbewegung am 1. Mai hatten etwa zwanzig Vermummte ein ZDF-Team der heute-show nahe dem Berliner Alexanderplatz überfallen, mit Metallstangen geschlagen und getreten. Zwei der Verletzten verloren zeitweilig das Bewusstsein. Drei Männer und eine Frau wurden jetzt vom Amtsgericht Tiergarten zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und Zahlung von jeweils 5.000 Euro Geldstrafe als Schmerzensgeld für die verletzten Berichterstattenden und Security-Mitarbeitenden verurteilt. Andere Mittäterinnen und Mittäter blieben unerkannt.
Verschwörungsideologischer und rechtsextremer Kontext
Ein Großteil der Angriffe, 18 von 41 verifizierten Fällen, fand 2023 in der verschwörungs- ideologischen oder der extrem rechten Szene statt. Beide gehen seit der Veränderung der deutschen Protestkultur durch die Pandemie fließend ineinander über. Vereint sind sie unter anderem durch ihren Hass auf die sogenannte „Lügenpresse” und ihre Kritik an demokratischen Prozessen. Im Vorjahr 2022 hatte Reporter ohne Grenzen 87 von 103 Fällen in diesem Umfeld verzeichnet. Da die Angriffe in beiden Jahren überwiegend auf politischen Versammlungen passierten, sind die gesunkenen Zahlen auch Folge von weniger Protestdemonstrationen.
Oftmals wird die Bedrohung bis ins Private getragen, wie Sachbeschädigungen Anfang März 2023 am Wohnhaus des Passauer Lokaljournalisten Hubert Jakob Denk – der unter anderem kritisch über die Corona-Proteste berichtet hatte – oder bei David Janzen zeigen. Der Reporter, der über die extrem rechte Szene schreibt, fand Ende März seine Haustür beschmiert vor. Davor lag eine Kerze, auf welche die international bekannte rechtsextreme Hass-Chiffre „1488” gekritzelt war, zudem stand neben einem Kreuz sein Name, und im Briefkasten lagen Fleischstücke. Er und seine Familie werden seit Jahren von Neonazis bedroht.
Besonders auf Versammlungen ist das Niveau der Aggression sehr hoch, mit der Personen aus der rechtsextremen Szene und dem Querdenker-Milieu gegenüber Journalistinnen und Journalisten auftreten. Acht Fälle verifizierte Reporter ohne Grenzen aus dem Bundesland Sachsen, in dem auch die Initiative Between The Lines aktiv ist. Sie organisiert ehrenamtlichen Begleitschutz für Medienschaffende, die von Versammlungen in der Region berichten. Viele der Opfer und Zeuginnen und Zeugen wollten ihre Fälle nur anonym gegenüber RSF schildern, um nicht zur Zielscheibe gewaltbereiter Gruppen zu werden. Was RSF immer wieder von Reporterinnen und Reportern berichtet wird: Rechtsextreme und verschwörungsideologische Aktive treten sehr selbstsicher auf. Sie sehen die Presse als zu bekämpfenden Feind. Seit der Pandemie ist die Gewaltbereitschaft deutlich gestiegen. Ehrenamtliche der Begleitschutzinitiative Between The Lines mussten auf Versammlungen mehrfach Angriffe abwehren, bei denen die Polizei angesichts der Gewalteskalation überfordert war.
Die Aggression auf Versammlungen wird da durch verstärkt, dass vom Podium her gezielt Hass und Misstrauen gegenüber Journalistinnen und Journalisten geschürt wird. Auf einer Kundgebung in Cottbus „markierte” der Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer, Hans-Christoph Bernd, als Redner zwei Berichterstattende und ihren Begleitschutz. Das „Markieren”, bedeutet in dem Zusammenhang, dass bei politischen Versammlungen mit dem Finger auf sie gezeigt, laut ihr Name gerufen und gewarnt wird, sie stellten „eine Gefahr” dar. Im oben beschriebenen Fall wurden die Medienschaffenden von der Bühne aus von dem Politiker als „Antifa” bezeichnet und die Anwesenden dazu aufgerufen, Anzeige gegen sie zu erstatten – weil diese angeblich gezielt Porträtaufnahmen auf der Versammlung machten.
Auf einer AfD-Veranstaltung am 18. November im thüringischen Plothen war ein Reporter der Ostthüringer Zeitung beschimpft, gestoßen und geschlagen worden. Als er den Veranstaltungsort verlassen wollte, fand er die Reifen seines Autos zerstochen vor. Vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024 machen sich Medienschaffende Sorgen: Sie rechnen mit einem aufgeheizten Klima und hoher Gewaltbereitschaft von rechtsextremen Gruppen.
Viele Übergriffe zu Jahresanfang 2024
Zu Beginn des neuen Jahres häufte sich die Gewalt gegen Medienschaffende. Allein für Januar prüft RSF neun Hinweise. Zum brutalsten Übergriff kam es am 24. Januar in Leipzig. Nach einer Pro-Palästina-Demonstration verprügelten drei Unbekannte einen Videojournalisten und seinen Begleiter so schwer, dass der Reporter mit Prellungen und Verletzungen am Kopf in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Selbst als der Journalist, der für den privaten Sender Sachsen Fernsehen vor Ort war, am Boden lag, traten die Angreifer weiter auf ihn ein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.
Drei weitere dokumentierte Übergriffe kamen aus der rechtsradikalen Szene. Am 13. Januar bedrängten Teilnehmende eines Neonazi-Treffens im hessischen Biskirchen Medienschaffende vom Netzwerk Recherche Nord. Der hessische Landesvorsitzende der Jugendorganisation „Junge Nationalisten“, Thassilo Hantusch, wurde dabei gefilmt, wie er nach ihnen und ihrer Ausrüstung trat und schlug.
Am 21. Januar attackierte eine Gruppe vermummter Männer einen Blogger aus Dortmund, der seit längerem die rechtsradikale Szene in seiner Nachbarschaft dokumentiert. Die Polizei nahm 13 Verdächtige fest.
Wie schon 2023 wurden auch zu Jahresbeginn 2024 am Rande von Pro-Palästina-Demonstrationen mehrere Übergriffe auf Medienschaffende dokumentiert: Am 17. Januar schlug ein Teilnehmer am Roten Rathaus in Berlin mit seiner Fahnenstange auf das Mobiltelefon eines Reporters. Bei einer Demo am 21. Januar am Brandenburger Tor schlug ein Teilnehmer ebenfalls mit einer Fahnenstange auf das Kameraobjektiv eines Pressefotografen.
Auch bei anderen Veranstaltungen wurden Medienschaffende angegriffen, so am Rande eines Bauernprotests am 8. Januar in Südbrandenburg. Demonstrierende schlugen dort auf den Übertragungswagen eines rbb24-Teams ein. Am 15. Januar fuhr ein wütender Autofahrer einen Lokalreporter an, der über eine Aktion der „Letzten Generation“ in Halle berichtete. Am 23. Januar riss im uckermärkischen Flieth-Stegelitzer ein Anwohner den Kameramann eines rbb-Teams zu Boden.
Nach den Enthüllungen von Correctiv über die Beteiligung von AfD-Politikern an einem Treffen in Potsdam, bei dem über die Ausweisung von unerwünschten Menschen als sogenannte „Remigration“ diskutiert wurde, hetzten Mitglieder der Partei öffentlich gegen Medienschaffende der Rechercheplattform, bis hin zu Drohungen. Ein Correctiv-Reporter erhielt am 18. Januar 2024 einen anonymen Anruf mit der Frage, ob er denn Polizeischutz habe. Der Anrufer wiederholte den Satz und legte danach auf.
Aufgrund der seit Jahren anhaltenden Bedrohungslage hat RSF 2021 zusammen mit anderen Organisationen einen Kodex entwickelt, der Berichterstattende schützen soll und dafür praktische Maßnahmen für Medienhäuser formuliert. Unter anderem Die Zeit, Der Spiegel, SZ, dpa und die Funke Mediengruppe setzen den Schutzkodex bereits um.
Als Signal an gewaltbereite Szenen können auch Gerichtsurteile bedeutsam sein. Im April 2018 hatten zwei Neonazis aus dem Umfeld der NPD (neuer Name seit 2023: „Die Heimat“) zwei Reporter erst im Auto rund um das thüringische Dorf Fretterode gejagt und sie dann mit einem Messer und einem großen Schraubenschlüssel schwer verletzt. Das Landgericht Mühlhausen erkannte kein politisches Motiv und verurteilte die Täter lediglich zu 200 Arbeitsstunden beziehungsweise 12 Monaten Bewährungsstrafe. Das Urteil wurde auf Revision der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft hin im März 2024 vom Bundesgerichtshof aufgehoben und zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts verwiesen.
Gefährlichste Orte: Politische Versammlungen
- Die meisten der 41 für das Jahr 2023 verifizierten Angriffe – zwei Hacker- Angriffe können nicht geografisch zugeordnet werden – ereigneten sich in: Sachsen (12), gefolgt von Bayern (6), Berlin (5), Nordrhein-Westfalen (5), Niedersachsen (4), Hamburg (2), Hessen (2), Rheinland Pfalz (1), Thüringen (1) und Schleswig-Holstein (1).
- Die gefährlichsten Orte für Medienschaffende waren auch 2023 politische Versammlungen wie: Partei-Veranstaltungen, Demonstrationen oder Protestaktionen. Hier wurden 32 von insgesamt 41 Fällen gezählt.
Bei der libertären Demonstration #Muenchenstehtauf am 18. Februar riss ein Teilnehmer einen Reporter von hinten um und fixierte ihn am Boden. Danach filmte und bedrängte das Umfeld des Täters den Journalisten. Dieser erstattete Anzeige. Nach Angaben des Reporters kam es zur Hauptverhandlung, vom Amtsgericht München wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage von 1.000 Euro eingestellt.
Am 29. Mai wurde ein Journalist bei einem Fackelmarsch von „Coburger Convents”, einem Zusammenschluss schlagender Studentenverbindungen, angegriffen: Ein Teilnehmer stieß mit seiner brennenden Fackel in Richtung des Journalisten und traf das Kameraobjektiv. Nur wenige Minuten zuvor hatte ein anderer Teilnehmer versucht, mit zwei Fackeln den Kopf des Journalisten zu treffen, der gerade noch ausweichen konnte. Auch ist es nicht unüblich, dass Teilnehmende von rechten Bürgerinitiativen Filmverbote gegen Reporterinnen und Fotografen aussprechen wollen.
So geschah es auch am 14. Dezember im hessischen Braunfels – dort schlug ein Teilnehmer einer Bürgerinitiative zweimal gegen das Objektiv des hessencam-Reporters Joachim Schaefer und entriss ihm die Kamera.
Ohne erkennbaren politischen Kontext schlug in Chemnitz am 3. Mai ein Fußgänger einem Fotografen von Tag24 die Faust ins Gesicht, weil er sich von ihm abgelichtet fühlte. Anlass war ein routinemäßiger Fototermin einer Stadträtin. Die Staatsanwaltschaft hat einen Strafbefehl beantragt, der allerdings wegen Zweifeln an der Schuldfähigkeit des Täters bisher nicht erlassen wurde.
Bei einer Versammlung der linken Initiative „Migrantifa Mainz” zum Nakba-Tag, einem palästinensischen Gedenktag am 13. Mai, bezeichnete ein Redner die anwesenden Journalistinnen und Journalisten als „rechten Abschaum“, anschließend wurden ihre Kameraobjektive mit Fahnen und Plakaten verdeckt. Ein Ordner schlug auf die Kamera eines Videojournalisten. Auf einer weiteren Nakba-Demo am 20. Mai in Berlin wurden Sand und Steine auf denselben Journalisten geworfen, ein Teilnehmer schlug auf das Objektiv eines anderen Pressefotografen. Nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der anschließenden Offensive der israelischen Armee in Gaza gab es erneut große Pro-Palästina-Demos: Am 13. Oktober in Hamburg nahm dabei ein Teilnehmer Anlauf, trat dem Reporter Elias M. Bartl zwischen die Beine und beleidigte ihn. Die Polizei nahm den Täter fest.
Verifizierte Angriffe auf Journalist*innen
Bei einer Pro-Palästina-Demonstration am Brandenburger Tor am 17. Oktober griffen Unbekannte zudem einen Video-Reporter des rbb-Magazins Kontraste an. Mehrmals versuchten sie, ihm die Kamera zu entreißen und beschädigten sie.
Auch im Umfeld der Klimabewegung gab es 2023 Gewalt: Am 14. Januar wurde ein dpa-Fotograf während der Proteste gegen die Räumung des Kohlebergwerks Lützerath von einem Teilnehmer geohrfeigt. Am selben Tag wurde ein Kamerateam des niederländischen Medienunternehmens PowNed von einer Gruppe Demonstrierender mit Antifa-Fahne angegriffen. Die Täter schlugen und traten die Journalisten. Einer der Video-Reporter wurde an der Hand verletzt, eine Kamera beschädigt.
Ein WDR-Team wurde im Hambacher Forst am 24. Februar von einer vermummten Person attackiert, als es selbst gezimmerte Hütten filmte, in denen immer noch Klimaaktivistinnen und -aktivisten leben. Ursprünglich wollte das Team über den Zustand des Waldes berichten, nachdem dort keine Braunkohle mehr abgebaggert wird. Die vermummte Person drosch mit einem Holzknüppel auf die Kamera ein und beschädigte sie.
Die Polizei: Zwischen Schutz und Aggression
Bei der Berichterstattung über Proteste gegen die Corona-Maßnahmen fühlten sich Medienschaffende in den vergangenen Jahren häufig von der Polizei im Stich gelassen. Auch bei angemeldeten Demonstrationen waren die Einsatzkräfte oft nicht in der Lage, für die Sicherheit von Journalistinnen und Fotografen zu sorgen. RSF führte deshalb einige Gespräche mit Behörden über den Schutz von Medienvertreterinnen und -vertretern.
Zum zweiten Mal hat RSF Betroffene systematisch zu ihren Erfahrungen mit der Polizei befragt. In 25 von 41 Fällen gaben die Opfer an, dass die Polizei zum Tatzeitpunkt nicht im Sichtfeld des Übergriffs gewesen sei. Gerade auf rechten Demos wünschen sich viele Medienschaffende mehr Polizeipräsenz – und dadurch mehr Schutz vor gewaltsamen Attacken und vor Behinderung ihrer Berichterstattung. In vier Fällen gaben Betroffene an, dass sie von der Polizei nicht unterstützt wurden, obwohl diese sich im Sichtfeld der Übergriffe aufhielt oder sogar zum Einschreiten aufgefordert wurde.
In acht Fällen verhielt sich die Polizei nach einem Angriff zur Zufriedenheit der Befragten, etwa indem sie diesen half, wieder aufzustehen, freundlich mit ihnen sprach, eine Anzeige aufnahm oder Tatverdächtige festnahm.
In vier Fällen im Jahr 2023 konnte RSF allerdings verifizieren, dass es Angehörige der Polizei selbst waren, die Medienschaffende angriffen. 2022 waren es sechs Fälle gewesen.
Besonders skurril war 2023 der Fall von zwei Reportern, die unter anderem für Nordstadtblogger, Ruhrnachrichten und WDR arbeiten: Sie wurden am 22. August zu Unrecht festgenommen. Nachdem drei Abende in Folge unweit einer Dortmunder Unterkunft für Geflüchtete mehrere Autos angezündet worden waren, wollten die Journalisten mit Kameras dokumentieren, ob auch in dieser Nacht die Brandserie fortgesetzt werden würde. Tatsächlich wurden an dem Abend wieder Fahrzeuge in Brand gesetzt. Daraufhin wurden die beiden Reporter, die in der Nachbarschaft recherchierten, gewaltsam zu Boden gerissen und gefesselt. Nach Angabe der Betroffenen ignorierten die Polizisten den Hinweis, dass sie Reporter waren. Am 1. September wurde eine 18-jährige tatverdächtige Dortmunderin in Untersuchungshaft genommen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die Journalisten wegen des Vorwurfs der Brandstiftung eingestellt.
Auch am Rande von #FreeLina-Demonstrationen im linksextremen Spektrum und bei der Berichterstattung über eine Aktion der „Letzten Generation” am 31. Mai in Köln wurden Reporterinnen und Reporter von der Polizei mit Schmerzgriffen – einer Nervendrucktechnik aus dem Kampfsport, die legaler Teil der polizeilichen Praxis ist – belegt. Einer wurde so grob aus dem Weg gestoßen, dass er sich dabei verletzte.
Alle weiteren Entwicklungen
Alle weiteren Erkenntnisse der Nahaufnahme 2024 finden Sie in der PDF-Version zum Download. Darin werden folgende Themen zusätzlich dargestellt:
Überwachung und Gesetzgebung in der EU und in Deutschland
Völkerstrafrechtsprozesse rund um Medienschaffende
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