Im weltweiten Vergleich stehen auf den oberen Plätzen der Rangliste der Pressefreiheit 2015 ausschließlich Länder mit demokratisch verfassten Regierungen, in denen die Gewaltenteilung funktioniert. In diesen Ländern sorgt eine unabhängige Gerichtsbarkeit dafür, dass Mindeststandards im Allgemeinen tatsächlich von Gesetzgebung und Regierung respektiert werden. Hierzu zählen vor allem die meisten EU-Staaten und die angelsächsischen Demokratien. Deutschland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit in diesem Jahr auf Platz 12 und hält sich damit im oberen Mittelfeld der EU-Staaten.
Eine „Nahaufnahme“ der Situation in diesen Ländern muss jedoch strengere Maßstäbe an eine Pressefreiheit anlegen. Volle Pressefreiheit hat auch eine Presse- und Medienvielfalt zur Voraussetzung, die den Bürgern die nötigen kontroversen Meinungen und Informationen für ihre Wahlentscheidungen liefert. Daher dokumentiert Reporter ohne Grenzen in der „Nahaufnahme“ für Deutschland detailliert Mängel und strukturelle Entwicklungen, die trotz des Platzes 12 in der Rangliste die Verwirklichung von Presse- und Informationsfreiheit bedrohen oder behindern.
Diese Übersicht bezieht sich auf den Zeitraum von Anfang Januar 2014 bis Anfang Februar 2015.
- 1. Zusammenfassung
- 2. Feindselige Stimmung mit Folgen: Anfeindungen gegen Journalisten und Anschläge auf Redaktionen
- 3. Unter Verdacht: Journalisten im Visier von Polizei und Geheimdiensten
- 4. Medien in der Krise: Die journalistische Vielfalt nimmt weiter ab
- 5. Lückenhafter gesetzlicher Schutz: Die rechtlichen Rahmenbedingungen
Zusammenfassung
- 2014 ist insbesondere bei islamfeindlichen und rechtsextremen Demonstrationen eine in Teilen der Gesellschaft schon länger vorhandene, pauschalisierend feindselige Stimmung gegen die etablierten Nachrichtenmedien offen zutage getreten. Bei Demonstrationen in verschiedenen Städten wurden Journalisten beleidigt, angepöbelt und von kleineren Teilnehmergruppen auch tätlich angegriffen. In Dresden skandierten Tausende Protestierende der Pegida-Bewegung Parolen wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“, wie sie bislang nur bei rechtsextremen Aufmärschen zu hören waren.
- Vor allem Journalisten und Redaktionen, die über den Ukraine-Krieg oder die Pegida-Demonstrationen berichteten, wurden in Leserforen, über soziale Medien und per E-Mail vielfach beschimpft und mitunter bedroht. Mehrfach wurden Journalisten oder Redaktionen tätlich angegriffen, unter anderem mit gezielten Brandanschlägen.
- 2014 wurden weitere Fälle bekannt, in denen Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste Journalisten gezielt oder im Zuge einer umfassenden Überwachung ausgeforscht haben. Ein besonders gravierender Fall wurde in Hamburg aufgedeckt, wo eine in der linken Szene eingesetzte verdeckte Ermittlerin der Kriminalpolizei jahrelang bei einem freien Radiosender mitarbeitete.
- Weitere Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden förderten neue Details zutage, die auch den Schutz journalistischer Quellen und Recherchen in Deutschland beeinträchtigen. Auch die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung ist zuletzt von neuem entbrannt.
- Zwei Urteile von Oberverwaltungsgerichten bestätigten die Sorge, dass ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2013 als Einschränkung der Auskunftsrechte von Journalisten gegenüber Bundesbehörden ausgelegt werden würde. Das Informationsfreiheitsgesetz bleibt auf Bundesebene unzureichend; mehrere Bundesländer haben weiterhin überhaupt keine entsprechenden Regelungen.
Feindselige Stimmung mit Folgen: Anfeindungen gegen Journalisten und Anschläge auf Redaktionen
Mehrmals wurden im vergangenen Jahr Brandanschläge auf Journalisten oder Redaktionen verübt. In Berlin wurde zwei Mal innerhalb weniger Monate das Auto eines Fotografen in Brand gesetzt, der regelmäßig über Demonstrationen von Neonazis berichtet. Sein Name tauchte auch auf einer Art „Fahndungsplakat“ mit insgesamt 18 Fotojournalisten auf, das seit November auf rechtsextremistischen Internetseiten kursiert. Im März wurde auf das Auto eines Kolumnisten der Berliner Boulevardzeitung ein Brandanschlag verübt. In einem Bekennerschreiben auf einem linksextremistischen Internetportal kündigten Unbekannte an, dem Autor wegen seiner „Drecksartikel (…) das Leben schwer machen“ zu wollen.
Wenige Tage nach den tödlichen Anschlägen auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo warfen Unbekannte in der Nacht auf den 11. Januar 2015 auch einen Brandansatz in das Archiv der Hamburger Morgenpost. Das Blatt hatte zuvor mehrere Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins nachgedruckt.
Wiederholt kam es 2014 bei rechtsextremen Demonstrationen zu Drohungen und Anfeindungen gegen Journalisten, so etwa bei den Aufmärschen der „Hooligans gegen Salafisten“ in Köln Ende Oktober und in Hannover Mitte November. In Dortmund wollten Anhänger der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ im Dezember vor das Haus eines Redakteurs der Zeitung Ruhr-Nachrichten ziehen, um ein „Zeichen für objektiven Journalismus” zu setzen. Nachdem die Polizei die Demonstration verbot, warfen Unbekannte Farbbeutel gegen das Wohnhaus des Mannes. Anfang 2015 verbreiteten Unbekannte im Internet fingierte „Todesanzeigen“ für Journalisten, die über die Dortmunder Naziszene berichten.
Die Lausitzer Rundschau, die immer wieder kritisch über die Umtriebe von Neonazis in der Region berichtet, wurde 2014 erneut Zielscheibe von Anschlägen. Unbekannte schmierten an die Außenwände mehrerer Lokalredaktionen Hetzparolen wie „Wir kriegen Euch alle“ und „Juden, kill them“. Auch zwei Lokalredaktionen des Brandenburger Nordkuriers wurden mit rechtsextremen und fremdenfeindlichen Parolen beschmiert oder beklebt.
Hat es solche Feindseligkeiten bis hin zu vereinzelten Angriffen auf Journalisten gerade bei Neonazi-Aufmärschen auch in der Vergangenheit gegeben, so bemühen sich ihre Urheber neuerdings vermehrt, aus der rechten Ecke herauszukommen. Dazu suchten sie den Anschluss an lokale Bewegungen wie die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) in Dresden und deren kleinere Ableger in anderen Städten wie Leipzig und Duisburg, in denen sich unter anderem ein schon länger schwelendes Misstrauen gegen ‚die Medien‘ als Teil eines als fremd empfundenen ‚Systems‘ artikuliert.
Auch bei solchen Demonstrationen wurden – in Dresden wiederholt von mehreren Tausend Demonstranten – regelmäßig Parolen wie „Lügenpresse! Halt die Fresse!“ gegen Journalisten skandiert, Reporter angepöbelt oder namentlich der verzerrten Berichterstattung beschuldigt und in einigen Fällen von kleineren Demonstrantengruppen tätlich angegriffen.
Wer kritisch über die Pegida-Demonstrationen oder über die politische Eskalation zwischen Russland und der Ukraine berichtete, erhielt oft Hassmails, Beschimpfungen und Drohungen etwa über soziale Netzwerke. Teilnehmer pro-palästinensischer Demonstrationen beleidigten bei Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg im Sommer wiederholt Fotografen und bezeichneten sie per Facebook als „Aasfresser“.
Nach einem kritischen Zeitungsartikel über den neuen, russischen Auslandssender RT Deutsch erhielt der Journalist Olaf Sundermeyer Hassmails. Darin hieß es unter anderem: „Du gehörst wirklich erschossen, für den Mist, den Du über RT geschrieben hast.“
Mehrmals beklagten insbesondere Fotojournalisten, die Polizei schütze sie bei Demonstrationen nicht ausreichend vor Anfeindungen und Drohungen – so etwa bei einer Reihe von Demonstrationen gegen Flüchtlinge in Berlin. Bei einem Neonazi-Aufmarsch im sächsischen Döbeln Anfang Oktober wurden mehrere Fotografen eingehend von der Polizei überprüft, nachdem Demonstrationsteilnehmer behauptet hatten, die Reporter fertigten Portraitaufnahmen an. Zwei Fotografen erhielten eine „Gefährderansprache“ der Polizei und sahen sich dadurch zum Verlassen der Demonstration genötigt.
Unter Verdacht: Journalisten im Visier von Polizei und Geheimdiensten
Auch 2014 wurden mehrere Fälle bekannt, in denen Journalisten von Strafverfolgungsbehörden oder von nationalen und internationalen Geheimdiensten ausspioniert wurden.
Im November bestätigte der Hamburger Senat nach Recherchen einer Gruppe aus dem Umfeld des alternativen Kulturzentrums Rote Flora den jahrelangen Einsatz einer verdeckten Ermittlerin der Kriminalpolizei in der linken Szene der Hansestadt. Die Frau hatte sich von 2000 bis 2006 in das Umfeld der Roten Flora eingeschlichen und dabei auch für den freien Radiosender Freies Sender Kombinat (FSK) gearbeitet. Sie nahm an den Redaktionssitzungen teil und hatte detaillierten Einblick in die internen Abläufe und journalistischen Quellen des Senders. Zu vermuten ist, dass sie diese Informationen auch an das Landeskriminalamt weitergab und damit massiv das Redaktionsgeheimnis und den Informantenschutz verletzte.
In München wurde 2014 bekannt, dass das Bundeskriminalamt zumindest in den Vorjahren wegen eines Bestechungsverdachts monatelang die Telefonanschlüsse von zwei Beamten des bayerischen Landeskriminalamts abgehört und dabei auch deren Gespräche mit einem Polizeireporter des Bayerischen Rundfunks minutiös protokolliert hatte. Einen direkten Lauschangriff auf den Reporter hatte das BKA zuvor abgelehnt. Das Ermittlungsverfahren gegen den Reporter und die beiden LKA-Beamten wurde schließlich wegen „erwiesener Unschuld“ eingestellt.
Die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden über die Aktivitäten westlicher Geheimdienste förderten 2014 weitere Fälle von Überwachung zutage, die nicht zuletzt die Vertraulichkeit der Kommunikation von Journalisten in Frage stellen. So wurde im Oktober 2014 eine Kooperation zwischen dem US-Geheimdienst NSA und dem Bundesnachrichtendienst (BND) mit dem Codenamen „Eikonal“ bekannt: Demnach zapfte der Bundesnachrichtendienst von 2004 bis 2008 einen Internet-Knotenpunkt in Frankfurt am Main an und wertete die Informationen gemeinsam mit der NSA aus – ohne überprüfen zu können, ob dabei widerrechtlich etwa auch Daten deutscher Bürger in die Hände der US-Kollegen gerieten.
Bekannt wurde zudem, dass die NSA gezielt Menschen ausspioniert, die ihre Kommunikation im Internet schützen – wie dies etwa investigative Journalisten tun, die an besonders heiklen Themen arbeiten. Unter anderem forschte die NSA einen Knotenpunkt des Anonymisierungsnetzwerks Tor in Erlangen aus – womit dem Geheimdienst nun mit großer Sicherheit bekannt sein dürfte, von welchen IP-Adressen aus über diesen Knoten auf das Netzwerk zugegriffen wurde.
Mit ihrer Ablehnung, Snowden einen sicheren Aufenthalt zu garantieren und damit eine Befragung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags zu ermöglichen, zeigte die Bundesregierung, dass sie nach wie vor geringes Interesse an einer umfassenden Aufklärung solcher Geheimdienst-Überwachungsexzesse hat.
2014 wurde bekannt, dass der BND Gelder zur technischen Aufrüstung beantragt hat, um künftig auch Internetverbindungen zu überwachen, die durch die Verschlüsselungstechniken SSL und HTTPS geschützt sind. Dazu müsste der Geheimdienst allerdings Schwachstellen dieser Programme nutzen – und könnte Druck ausüben, dass die Softwarehersteller solche Schwachstellen einbauen. Dies würde den Schutz durch solche Verschlüsselungstechniken insgesamt schwächen und damit eine Bedrohung nicht zuletzt für den journalistischen Quellen- und Informantenschutz darstellen.
2014 erhärteten sich überdies langgehegte Vermutungen, dass Diktaturen Regimekritiker und kritische Journalisten selbst im scheinbar sicheren Ausland digital verfolgen. Starke Indizien dafür lieferte die Veröffentlichung von rund 40 Gigabyte an internen Daten des deutsch-britischen Überwachungstechnologie-Anbieters FinFisher (ehemals Gamma), die ein Hacker Anfang August veröffentlichte. Daraus geht unter anderem hervor, dass das arabische Golf-Emirat Bahrain mit FinFisherTechnologie auch 15 Computer in Deutschland ausforschte.
Journalistische Quellen in Deutschland bleiben auch durch die geplante Vorratsdatenspeicherung bedroht, die anlasslose Archivierung von Internet- und Telefonverbindungsdaten zu Fahndungszwecken. Nach den Anschlägen in Paris forderten Unionspolitiker, die Vorratsdatenspeicherung schnell einzuführen. Wegen der Unvereinbarkeit mit den Grundrechten haben das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 und der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014 die Vorratsdatenspeicherung in der damals geplanten Form abgelehnt. Reporter ohne Grenzen fordert, Verbindungsdaten allenfalls gezielt und von Richtern kontrolliert bei konkretem Tatverdacht zu speichern.
Schon seit Juli 2013 ist die Neuregelung der Bestandsdatenauskunft in Kraft. Sie verpflichtet Telefon- und Internetanbieter, an Polizei, Geheimdienste und Zoll unter teils sehr weit gefassten Voraussetzungen Angaben wie Rufnummern, Name und Anschrift von Anschlussinhabern, aber auch Passwörter, PIN und dynamische IP-Adressen auszuhändigen. Mit Hilfe solcher Daten lässt sich etwa das Internetverhalten von Smartphone-Nutzern nachvollziehen, weshalb auch diese Reform abschreckend auf Presseinformanten und Whistleblower wirken dürfte.
Auch die gezielte Online-Überwachung bedroht weiterhin den Quellen- und Informantenschutz. Das Bundeskriminalamt gab im Sommer 2014 bekannt, dass ein sogenannter Bundestrojaner einsatzbereit sei, der den strengen rechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genüge. Da eine klare Abgrenzung zur Onlinedurchsuchung aber schon technisch schwer möglich ist, bleibt Reporter ohne Grenzen skeptisch, dass eine solche Überwachungstechnologie überhaupt in verfassungskonformer Weise eingesetzt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 geurteilt, dass nur das Abhören einzelner Kommunikationsvorgänge (die sogenannte Quellen-TKÜ) erlaubt sei und eine Totalüberwachung ausgeschlossen werden müsse.
Ein Erfolg der Lobbyarbeit von Reporter ohne Grenzen und anderen Nichtregierungsorganisationen, die sich dazu zum Bündnis gegen Exporte von Überwachungstechnologie (Coalition Against Unlawful Surveillance Exports – CAUSE) zusammengeschlossen haben, ist die zum Jahresende 2014 in Kraft getretene neue EU-Verordnung über die Exportkontrolle von Dual-Use-Gütern: Erstmals sind damit Verkauf und Export von digitaler Überwachungstechnologie genehmigungspflichtig. Abzuwarten bleibt, wie wirksam diese Kontrollen in der Praxis sein werden.
Medien in der Krise: Die journalistische Vielfalt nimmt weiter ab
Die Finanzierungskrise der Medien dauerte 2014 an – und mit ihr eine schleichende Erosion der Medienvielfalt. Die Zahl der Zeitungen mit eigenen Vollredaktionen ging weiter zurück. Vor allem in den ländlichen Regionen Deutschlands gibt es vielerorts nur noch eine einzige Regionalzeitung, die dadurch eine dominante meinungsprägende Stellung einnimmt.
Die Kölnische Rundschau etwa erhält ihren Mantelteil seit dem vergangenen Jahr vom Bonner General-Anzeiger, an dem der einstige Konkurrent M. DuMont Schauberg eine Minderheitenbeteiligung hat. Zudem wurden vier Lokalredaktionen der Kölner Rundschau aufgelöst und in eine Redaktionsgemeinschaft überführt, die die Heinen-Gruppe gemeinsam mit DuMont Schauberg unterhält. Die Münstersche Zeitung erscheint mittlerweile komplett ohne eigene Redaktion. Der Mantelteil kam schon seit Längerem von den Ruhr Nachrichten; seit November erhält die Zeitung ihre lokalen Nachrichten vom zentralen Reporterpool der Westfälischen Nachrichten, dem einstigen Konkurrenzblatt mit entgegengesetzter politischer Ausrichtung.
Die Münchner Abendzeitung stellt nach ihrer insolvenzbedingten Übernahme nun etwa ihren Wirtschafts- und Politikteil aus einem Textpool der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung zusammen. Im Januar 2015 kündigte die Verlagsgruppe Rhein/Main an, das Darmstädter Echo zu kaufen, das zuvor schon einen drastischen Sparkurs angekündigt hatte. Die Osnabrücker Zeitung übernahm 2015 das Delmenhorster Kreisblatt.
Der abnehmenden Zahl fest beschäftigter Redakteure stehen immer stärker wachsende Pressestellen von Unternehmen, Verbänden und PR-Agenturen gegenüber. Mit abdruckfertigen PR-Texten im Gewand von Nachrichtenartikeln versuchen sie, in die Lücken zu stoßen, die Stellenabbau und Arbeitsverdichtung in den Redaktionen gerissen haben. Die Leser können diese als journalistische Artikel getarnte Werbung oft kaum erkennen; gerade bei Online-Medien wird mit dem zunehmenden Einsatz sogenannter Advertorials teils offen die Aufweichung der Grenze zur Schleichwerbung betrieben. Problematisch ist es auch, wenn Unternehmen ihre Macht als Anzeigenkunde nutzen, um Einfluss auf Inhalt oder Häufigkeit ihrer Erwähnung in einzelnen Medien zu nehmen.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft etwa stockte 2014 seine Kommunikationsabteilung auf mehr als 20 Mitarbeiter auf, die Redaktionen künftig mit Texten versorgen sollen. Der Elektronikhändler Saturn finanziert seit 2014 das Online-Technikportal Turn On – für die Leser verschwimmen bei solchen Produkten zunehmend die Grenzen zwischen unabhängig recherchierten Themen und geschickter Produktplatzierung des Sponsors. Ein Außendienstmitarbeiter des Handelsblatts bot Interessenten für mehrere Tausend Euro an, Artikel in der Zeitung so zu platzieren, dass sie von einem redaktionell erstellten Text nicht zu unterscheiden sein würden.
Lückenhafter gesetzlicher Schutz: Die rechtlichen Rahmenbedingungen
2014 begannen in der Rechtsprechung die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts deutlich zu werden, das seit Februar 2013 für Verunsicherung bei vielen Journalisten sorgt. Darin revidierten die Richter die bisher gängige Rechtsauffassung, Journalisten könnten auch bei Bundesbehörden unter Berufung auf die Landespressegesetze Auskünfte verlangen. Stattdessen verwiesen sie auf einen „Minimalanspruch“ auf Auskünfte, der sich unmittelbar aus der grundgesetzlichen Pressefreiheit herleite.
Unter Berufung auf dieses Urteil lehnten zwei Oberverwaltungsgerichte nun Eilanträge von Journalisten auf Auskünfte von Bundesbehörden ab: Das OVG Berlin-Brandenburg wies im Januar 2014 die Beschwerde eines Redakteurs zurück, der vom Auswärtigen Amt Auskunft über den Asylantrag Edward Snowdens verlangt hatte. Im September stoppte das Oberverwaltungsgericht Münster die Recherche eines Journalisten beim Verfassungsschutz. Er hatte Auskunft über die Zahl der Journalisten gefordert, über die das Bundesamt für Verfassungsschutz Daten erfasst. Um die Gesetzeslücke zu schließen, fordern unter anderem Journalistenverbände ein Bundespresseauskunftsgesetz.
Das seit 2012 geltende Pressefreiheitsgesetz soll Redaktionen unter anderem vor Durchsuchungen und Beschlagnahmen schützen, außer bei dringendem Verdacht auf Beteiligung an einer Straftat. Dennoch erzwangen Ermittler von Staatsanwaltschaft und Polizei im Juli 2014 mit einem Durchsuchungsbeschluss beim Darmstädter Echo die Herausgabe des Klarnamens eines Nutzers, der in einem Internetforum der Zeitung anonymen einen Verwaltungsmitarbeiter beleidigt haben soll. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigte ihr Vorgehen mit dem Argument, das Presserecht greife in diesem Fall nicht, da es sich um einen Leserkommentar handele, der nicht redaktionell aufbereitet worden sei. Das Landgericht Darmstadt erklärte den Durchsuchungsbeschluss im Nachhinein wegen schwerer Formfehler für rechtswidrig.
Bürger und Journalisten in Deutschland haben seit 2006 ein Recht auf Akteneinsicht bei Bundesbehörden. Viele Behörden behindern die Ausübung dieses Rechts jedoch durch ausufernde Ausnahmen, schleppende Bearbeitung und hohe Gebühren. Im Juli 2014 kritisierte das Verwaltungsgericht Berlin in einem Urteil, dass das Bundesinnenministerium im Jahr 2011 eine Anfrage zweier Journalisten in 66 Einzelanfragen aufgespalten und insgesamt Kosten in Höhe von 14.952,20 Euro erhoben hatte.
Ende 2014 haben die Fraktionen der baden-württembergischen Regierungskoalition endlich eigene Eckpunkte für das seit dem Frühjahr 2011 angekündigte landeseigene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vorgelegt. Darin fehlt jedoch beispielsweise eine Abwägungsklausel für den Fall von Interessenkonflikten zwischen geistigem Eigentum oder Geschäftsgeheimnissen und dem öffentlichen Interesse. Auch Hessen, Niedersachsen, Bayern und Sachsen haben bislang keine eigenen Informationsfreiheitsgesetze.
Sorge bereitet auch die Diskussionen über die künftige EU-Datenschutzverordnung, die die Verarbeitung personenbezogener Daten durch private Unternehmen und öffentliche Stellen EU-weit regeln soll. Reporter ohne Grenzen fürchtet, dass bislang zwingende Schutzvorschriften in Deutschland in der europaweiten Regelung wegfallen könnten bzw. in ein weitgehendes Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt würden.
Davon wäre auch der Schutz der journalistischen Datenverarbeitung von der Recherche bis zur Veröffentlichung betroffen. Bislang sind etwa die Computer von Journalisten in Deutschland vor dem Zugriff der Behörden geschützt. ROG fordert, dass Redaktions- und Informantenschutz in der neuen Verordnung gewahrt bleiben müssen.
Potenzielle Whistleblower sind in Deutschland nach wie vor nur unzureichend geschützt. Zum Teil widersprüchliche Gesetze und Gerichtsurteile sowie Lücken im Arbeitsrecht machen es Hinweisgebern schwer, sich die potenziellen rechtlichen Konsequenzen ihres Handelns konkret vor Augen zu führen.
Ein spezifisches Whistleblower-Schutzgesetz gibt es auf Bundesebene nicht, und es wurde auch nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Union und SPD einigten sich in ihren Koalitionsverhandlungen lediglich darauf zu prüfen, ob beim Hinweisgeberschutz internationale Vorgaben hinreichend umgesetzt sind. Damit zeigt die Bundesregierung, dass ihr an einer Stärkung von Whistleblowern in Deutschland nicht gelegen ist. Im vergangenen Herbst drohte sie sogar mehrmals damit, die Weitergabe von „geheimen“ Informationen insbesondere aus dem NSA-Untersuchungsausschuss an Journalisten strafrechtlich verfolgen zu lassen. Solche Einschüchterungsversuche beeinträchtigen die Funktion der Medien als unabhängige Kontrollinstanz der Politik: Journalisten benötigen Hinweisgeber, um Unrecht aufzuklären.
Das Bundesverfassungsgericht drängte in einem Urteil zum ZDF-Staatsvertrag im März 2014 den Einfluss der politischen Parteien auf die Programme des ZDF zurück: Es forderte, den Anteil von Politikern und „staatsnahen Personen“ im Verwaltungs- und Fernsehrat des ZDF von seinerzeit 44 Prozent auf ein Drittel der Gremienmitglieder zu begrenzen, um die Staatsferne des Senders zu garantieren.
Im Dezember beschlossen die Ministerpräsidenten auf einer gemeinsamen Konferenz, dass die Parteien die Zahl der ihnen zugebilligten Sitze in den Gremien voll ausschöpfen wollten. Zudem wollen sich CDU/CSU und SPD die der Politik vorbehaltenen Plätze unverändert weitgehend unter sich aufteilen. Die kleineren Parteien und andere gesellschaftliche Gruppen haben damit nach wie vor nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten über diese Gremien. Sie fordern, den Anteil von einem Drittel noch weiter zu begrenzen. ARD-Anstalten sahen keinen Handlungsbedarf, da ihre Gremien ohnehin zu höchstens einem Drittel mit Politikern und „staatsnahen Personen“ besetzt seien.
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