Im weltweiten Vergleich stehen auf den oberen Plätzen der Rangliste der Pressefreiheit 2016 ausschließlich Länder mit demokratisch verfassten Regierungen, in denen die Gewaltenteilung funktioniert. In diesen Ländern sorgt eine unabhängige Gerichtsbarkeit dafür, dass Mindeststandards tatsächlich von Gesetzgebung und Regierung respektiert werden. Hierzu zählen vor allem die meisten EU-Staaten und die angelsächsischen Demokratien. Deutschland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit in diesem Jahr auf Platz 16 (2015: Platz 12) und hält sich damit im Mittelfeld der EU-Staaten.
Eine Nahaufnahme der Situation muss jedoch strengere Maßstäbe anlegen. Daher dokumentiert Reporter ohne Grenzen hier detailliert besorgniserregende Entwicklungen und strukturelle Mängel, die die Presse- und Informationsfreiheit in Deutschland bedrohen.
Diese Übersicht bezieht sich auf den Zeitraum von Anfang Januar 2015 bis Ende März 2016.
- Zusammenfassung
- "Lügenpresse": Anfeindungen und Gewalt gegen Journalisten
- Im Visier von Justiz und Nachrichtendiensten: Journalisten und ihre Informanten
- Viele Daten sammeln, wenige herausgeben: der rechtliche Rahmen
- Medien in der Krise: weniger Vielfalt, mehr versteckte Werbung
- Ausgewählte Übergriffe auf Journalisten 2015/16
Zusammenfassung
Die Zahl der Angriffe, Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten ist sprunghaft gestiegen. Mindestens 39 gewalttätige Übergriffe zählte Reporter ohne Grenzen 2015. Zu Gewalt kam es meist auf Demonstrationen rechter Gruppen oder Gegendemonstrationen. In der Kritik stand dabei auch die Polizei, der wiederholt Untätigkeit vorgeworfen wurde. Auch Fälle verbaler Bedrohung, Beschimpfung und Beleidigung von Journalisten nahmen 2015 rapide zu. Die aggressive Stimmung gegen die Medien wird von prominenten Köpfen rechter Bewegungen geschürt. Die Partei Alternative für Deutschland schließt Journalisten immer wieder von Veranstaltungen aus.
Erstmals seit mehr als 30 Jahren ermittelte die Bundesanwaltschaft im Juli 2015 wieder gegen zwei Journalisten. Auf ihrem Blog netzpolitik.org hatten sie als vertraulich eingestufte Dokumente veröffentlicht. Nach bundesweiten Protesten wurden die Ermittlungen gegen die Blogger wenig später eingestellt. Nicht eingestellt wurden jedoch die Ermittlungen gegen unbekannt, also gegen den Informanten. Um auf den unzureichenden Schutz journalistischer Quellen und die weit reichende Überwachung durch Geheimdienste aufmerksam zu machen, verklagte ROG im Juni 2015 den Bundesnachrichtendienst wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. ROG fordert eine bessere Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament.
Das im Oktober verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert Reporter ohne Grenzen scharf. Es verpflichtet Telefon- und Internetunternehmen, die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang zu speichern. Zugegriffen werden darf auf die Daten nur bei schweren Straftaten, was genau darunter fällt, ist jedoch nicht klar genug definiert. Berufsgeheimnisträger wie Journalisten schützt das Gesetz nur unzureichend. Der neu eingeführte Straftatbestand der Datenhehlerei gefährdet ihre Informanten.
Die wirtschaftliche Krise vieler Zeitungs- und Zeitschriftenverlage hält unvermindert an. Dementsprechend häufen sich Meldungen über die Zusammenlegung von Redaktionen, Einsparungen und Entlassungen. In zunehmendem Maße liefern Zentralredaktionen großer Regionalverlage identische Inhalte an diverse Abnehmer. Pressevielfalt besteht in vielen Regionen oft nur noch bei Titel und Layout, nicht aber bei Inhalt und Ausrichtung der Zeitungen. Immer stärker setzen Verlage auf sogenanntes Native Advertising, das ins Layout der Redaktion integriert wird. Wegen mangelnder Trennung von Redaktion und Werbung sprach der Presserat von Januar 2015 bis März 2016 insgesamt 20 Rügen aus. Auch für Radiosender besteht inzwischen ein florierender Markt von Themendiensten und Agenturen, die im Auftrag von Firmen und Organisationen kostenlos Material anbieten.
"Lügenpresse": Anfeindungen und Gewalt gegen Journalisten
Die Zahl der Angriffe, Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten und Redaktionen ist in Deutschland sprunghaft gestiegen. Mindestens 39 gewalttätige Übergriffe zählte Reporter ohne Grenzen 2015. In den ersten Monaten des Jahres 2016 setzte sich diese Tendenz unvermindert fort (siehe die Dokumentation ausgewählter Fälle im Anhang). Zu Gewalt gegen Journalisten kam es meist auf Demonstrationen der Pegida-Bewegung und ihrer regionalen Ableger, bei Kundgebungen rechtsradikaler Gruppen oder auf Gegendemonstrationen. Rund zwei Drittel der dokumentierten Fälle zählte ROG in Sachsen, weitere in Berlin, München und anderen Städten. 2015 erstatteten allein bei der Leipziger Polizei Journalisten in 13 Fällen Anzeige wegen Beleidigung und Körperverletzung.
Reporter wurden geschlagen, getreten, zu Boden geworfen, ihre Ausrüstung beschädigt oder zerstört. Opfer der Angriffe waren meist Fotografen, Kamerateams oder Reporter vor Übertragungswagen von Radio- und Fernsehsendern – Journalisten also, die leicht als solche erkennbar sind und symbolhaft für die von Demonstranten pauschal verunglimpfte „Lügenpresse“ stehen. Bei den Demonstrationen zum Jahrestag der Pegida-Bewegungen am 19. Oktober 2015 in Dresden häuften sich die Überfälle: Der Fernsehjournalist Jaafar Abdul Karim (Deutsche-Welle) wurde als „Kanake“ beschimpft, beim Drehen behindert und ins Genick geschlagen. Ein Mitarbeiter vom Deutschlandradio wurde vor einem Übertragungswagen von einem betrunkenen Gegendemonstranten angegriffen und leicht verletzt. Ein Kameramann der russischen Videoagentur Ruptly wurde von mehreren Männern bedroht, die seine Ausrüstung zu Boden warfen und auf ihn einschlugen.
In der Kritik stand dabei auch die Polizei, die teilweise überfordert wirkte und sich wiederholt Untätigkeit vorwerfen lassen musste: Immer wieder würden Polizisten bei Bedrohungen wegschauen, nicht eingreifen oder sich bei Beschwerden abwenden. Verwarnungen und Platzverweise träfen oft Journalisten und nicht die Gewalttäter. Bei einer Pegida-Demonstration im September 2015 in Dresden war die Polizei selbst auf dem exponierten Platz vor dem Landtag nicht in der Lage zu verhindern, dass Journalisten getreten und ins Gesicht geschlagen wurden und die Täter dann in der johlenden Menge untertauchten. Mehrere Sender beschäftigen deshalb inzwischen eigene Sicherheitsleute zum Schutz ihrer Reporter. Der Mitteldeutsche Rundfunk kündigte nach dem Angriff auf Hörfunk-Korrespondentin Ine Dippmann in Leipzig im Januar 2016 an, „Reporter bei solchen Einsätzen künftig generell von Sicherheitspersonal begleiten zu lassen“. Zuvor hatte bereits RTL West in Nordrhein-Westfalen Bodyguards für Reporter angeheuert, die von einer Demonstration der gewaltbereiten Gruppe „Hooligans gegen Salafisten“ in Köln berichten sollten. Die Leipziger Internet-Zeitung hingegen lehnte im Februar 2016 die Einstellung privater Wachleute ab und drohte damit, ihre Live-Berichterstattung von den Protesten einzustellen, woraufhin die Polizei den Schutz von Journalisten auf Demonstrationen verbesserte.
Die aggressive Stimmung gegen Journalisten wird von prominenten Köpfen rechter Bewegungen bekräftigt oder gar geschürt. Pegida-Wortführerin Tatjana Festerling erklärte im Januar 2016 bei einer Veranstaltung in Leipzig, vernünftige Bürger müssten „nach den Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten [...] aus den Pressehäusern prügeln“. Wenig später sprach sie auf einer Kundgebung in Dresden über die „Wahrheitsverdreher von der Lügenpresse“ und behauptete, die Medien unterstünden einem „Merkelschen Wahrheitsministerium“. Im September rief Legida in Leipzig seine Anhänger dazu auf, die Leipziger Volkszeitung zu boykottieren und Abos zu kündigen. Zur gleichen Zeit erhielten Abonnenten der Dresdner Neuesten Nachrichten und der Sächsischen Zeitung ein anonymes Flugblatt, das davor warnte, die Zeitungen würden gezielt Lügen und Verleumdungen verbreiten.
Die Partei Alternative für Deutschland schließt Journalisten immer wieder von Veranstaltungen aus, so im März 2016 vom Kreisparteitag in Düsseldorf oder von einer Wahlveranstaltung im fränkischen Wertheim. Beim Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern im Februar 2016 beantragte ein Parteimitglied den Ausschluss der preisgekrönten Journalistin Andrea Röpke wegen ihrer kritischen Berichte. Die Mehrheit stimmte für den Antrag, und Röpke musste unter dem Applaus der AfD-Mitglieder den Saal verlassen.
Auch Fälle verbaler Bedrohung, Beschimpfung und Beleidigung von Journalisten nahmen 2015 rapide zu. Im Februar tauchten im Internet gefälschte Todesanzeigen für Journalisten in Nordrhein-Westfalen auf. Constantin Schreiber, der seit September 2015 eine arabische TV-Sendung für Flüchtlinge in Deutschland moderiert, erhielt nach Sendebeginn Boykottaufrufe und E-Mails mit Beleidigungen, von denen „Bettnässer“, „degeneriert“ oder „abartig“ nach seiner Aussage noch die freundlicheren waren. Die Innenpolitik-Chefin des NDR-Fernsehens, Anja Reschke, wurde im August nach einem Tagesthemen-Kommentar zum Thema Flüchtlinge mit Hass-Nachrichten im Netz überhäuft. ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, die bei AfD-Kundgebungen mit Demonstranten sprach und Verfasser von Hassmails zum Gespräch einlud, erwirkte im Februar 2016 eine einstweilige Verfügung, die einem Facebook-Nutzer beleidigende Äußerungen auf ihrer Seite untersagt.
Im Visier von Justiz und Geheimdiensten: Journalisten und ihre Informanten
Wenn es darum geht, brisante und zum Teil als geheim eingestufte Informationen öffentlich zu diskutieren, stehen nicht nur Journalisten, sondern auch ihre Hinweisgeber immer stärker unter Druck. Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren ging der Generalbundesanwalt im Sommer 2015 wieder gegen Journalisten vor. Wegen des Verdachts auf Landesverrat ermittelte er gegen die Betreiber des Blogs netzpolitik.org, Markus Beckedahl und Andre Meister. Sie hatten im Frühjahr 2015 über den geheimen Ausbau der Internetüberwachung durch den Verfassungsschutz berichtet und als vertraulich eingestufte Originaldokumente veröffentlicht. ROG kritisierte, die Bundesanwaltschaft missbrauche das Strafrecht, um Journalisten und ihre Informanten einzuschüchtern, und veröffentlichte die umstrittenen Dokumente als Zeichen der Solidarität ebenfalls auf der Internetseite der Organisation. Nach heftigen Protesten entließ Justizminister Heiko Maas am 4. August Generalbundesanwalt Harald Range. Dessen Nachfolger stellte die Ermittlungen gegen die Journalisten wenige Tage später ein. Nicht eingestellt wurden jedoch die Ermittlungen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt – also gegen den Informanten der Blogger.
Dass Whistleblower in Deutschland nicht ausreichend geschützt sind, zeigten auch andere Fälle. Im Juli 2015 ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt, nachdem die Bild-Zeitung mit Hinweisen auf vertrauliche Quellen über defekte Schutzwesten bei der hessischen Polizei berichtet hatte. In Baden-Württemberg setzten sich Innen- und Justizministerium für Ermittlungen wegen Geheimnisverrats gegen unbekannt ein, nachdem die Stuttgarter Zeitung Informationen aus einer als geheim eingestuften Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses veröffentlicht hatte. In Lüneburg stand im Frühjahr 2016 ein früherer Oberstaatsanwalt wegen Geheimnisverrats vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, er habe den Weser-Kurier über Pläne der Polizei informiert, die Investigativ-Reporterin Christine Kröger zu überwachen.
Wie stark Journalisten und ihre Informanten im Fokus von Ermittlungen stehen, wenn nach undichten Stellen in Geheimdiensten und Behörden gesucht wird, wurde Ende 2015 durch Recherchen des Berliner Tagesspiegel deutlich. Per Gerichtsentscheid zwang die Zeitung die Regierung, Auskunft über die Zahl der Fälle von Geheimnisverrat beim Bundesnachrichtendienst zu geben. Demnach zählte der BND von Januar bis Oktober 32 Verstöße gegen die einschlägigen Geheimschutzvorschriften – bis auf drei Ausnahmen allesamt durch Veröffentlichungen in Medien. In jedem dieser Fälle wird ein formeller Prüfvorgang eingeleitet, um die Quelle des Geheimnisverrats ausfindig zu machen. Die veröffentlichten Zahlen zeigen, dass seit 2013 Jahr für Jahr mehr als Verschlusssache eingestufte BND-Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen. Der Versuch des Tagesspiegels, auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu erfahren, in welchem Umfang die Behörde Journalisten und Parlamentarier überwacht, scheiterte hingegen. Da solche Zahlen nicht vorlägen, erfordere eine Antwort „umfangreiche Recherchen in einer Vielzahl von Akten, die einzeln zu überprüfen sind“, urteilte das Kölner Verwaltungsgericht im Januar 2016, und solche Recherchen seien vom Auskunftsrecht der Presse nicht gedeckt.
Um auf den unzureichenden Schutz journalistischer Quellen und die immer weiter reichende Überwachung durch Geheimdienste aufmerksam zu machen, verklagte ROG im Juni 2015 den Bundesnachrichtendienst wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. ROG wirft dem BND vor, den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnern und Journalisten ausgespäht und die Arbeit von ROG damit massiv beeinträchtigt zu haben. Für zahlreiche Journalisten aus Deutschland und aus autoritären Staaten wie Usbekistan, Aserbaidschan oder China ist ROG ein wichtiger Ansprechpartner, an den sie sich mit vertraulichen Informationen wenden. Reporter ohne Grenzen hält die Überwachungspraxis des BND für unverhältnismäßig und vom Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (kurz G 10-Gesetz) nicht gedeckt.
Bereits im März 2015 – ein Jahr nachdem der bis dahin weitgehend folgenlose NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde – hatten Reporter ohne Grenzen, das Privacy Project der Stiftung neue Verantwortung und andere zivilgesellschaftliche Gruppen eine bessere Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament angemahnt. In einer Stellungnahme an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und an die Ausschussmitglieder forderten sie unter anderem, das Amt eines Geheimdienstbeauftragten im Bundestag zu schaffen, das Parlamentarische Kontrollgremium personell besser auszustatten, bei den Nachrichtendiensten einen funktionierenden Mechanismus für Whistleblower einzurichten und die G-10-Kommission zu informieren, wenn Kommunikationsdaten an ausländische Stellen weitergegeben werden.
Die Geheimdienst-Affären, die im weiteren Verlauf des Jahres ans Licht kamen, bekräftigten die Dringlichkeit dieser Forderungen: Im April deckte der Spiegel auf, dass der US-Geheimdienst NSA über Jahre hinweg mit Wissen des BND Ziele in Deutschland ausgespäht hatte. Im Mai wurde bekannt, dass der Waffenhersteller Heckler & Koch und der Chef der Rüstungsabteilung im Verteidigungsministerium den Militärischen Abschirmdienst 2013 dazu bringen wollten, Journalisten auszuspähen und die Quelle für negative Berichte über das Bundeswehr-Gewehr G36 zu finden. Obwohl Verteidigungsministerin von der Leyen beteuerte, der MAD habe zu keinem Zeitpunkt in dieser Frage recherchiert, deuteten interne Dokumente darauf hin, dass der MAD seinerzeit sehr wohl nach Informanten von kritischen Journalisten in den Reihen der Bundeswehr suchte. Im Juli machte der Spiegel öffentlich, dass er 2011 vermutlich vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA abgehört wurde, und erstattete Anzeige bei der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit und der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses.
Viele Daten sammeln, wenige herausgeben: der rechtliche Rahmen
Am 16. Oktober 2015 verabschiedete der Bundestag ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das Reporter ohne Grenzen scharf kritisiert. Es trat am 18. Dezember in Kraft und verpflichtet Telefon- und Internetunternehmen, die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang zu speichern. Das heißt, es wird festgehalten, wer wann wen angerufen hat und wer sich wann mit welcher IP-Adresse ins Internet eingewählt hat. Nicht gespeichert werden der Inhalt von E-Mails und die von den Nutzern aufgerufenen Internetseiten. Standortdaten von Handys werden vier Wochen lang gespeichert. Zugegriffen werden darf auf die Daten nur bei schweren Straftaten. Die EU-Kommission kritisierte schon vor der Verabschiedung des Gesetzes, es sei nicht klar genug definiert, was genau unter solche Straftaten falle.
Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte und Journalisten sind durch das Gesetz nur unzureichend geschützt. Ihre Verbindungsdaten sollen zwar gespeichert, aber nicht verwendet werden. Dabei ist weder klar, wie dies technisch umgesetzt, noch wie verhindert werden kann, dass Dritte auf diese Daten zugreifen. Zudem beschloss die CDU auf ihrem Parteitag im Dezember 2015, dass sie die Nutzung der gespeicherten Daten „in Zukunft auch den Verfassungsschutzbehörden ermöglichen“ will.
Eine Gefahr für die Pressefreiheit ist auch der im Gesetz neu eingeführte Straftatbestand der Datenhehlerei, also die Beschaffung, Überlassung oder Verbreitung nicht allgemein zugänglicher Daten. Experten bezeichnen dies als „eindeutigen Versuch, den Umgang mit Daten, wie sogenannte Whistleblower ihn pflegen, möglichst weitgehend zu kriminalisieren“. Durch den neuen Paragraphen ist unklar, ob sich schon strafbar macht, wer Daten, die er von einem Whistleblower erhalten hat, vertraulich an Experten zur Prüfung weitergibt. Ausgenommen davon sind lediglich Journalisten, wenn sie vertrauliche Daten „berufsmäßig“ weitergeben.
Erfreulichere Entwicklungen gab es bezüglich der gesetzlich garantierten Informationsfreiheit der Bürger gegenüber Behörden in den Bundesländern. Als zweites Bundesland nach Hamburg verabschiedete Rheinland-Pfalz im November 2015 ein Transparenzgesetz anstelle eines reinen Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Das heißt, dass die Bürger nicht mehr nur Anträge auf den Erhalt von Informationen stellen können, sondern Behörden diese von sich aus zur Verfügung stellen müssen. Auch in Thüringen legte der Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse im Februar 2016 den Entwurf für ein Transparenzgesetz vor, das nicht nur Landesbehörden, sondern auch die Kommunen verpflichten soll, den Bürgern möglichst viele Informationen zugänglich zu machen. In Baden-Württemberg trat nach langem Ringen Ende 2015 endlich ein IFG in Kraft – allerdings gehört es zu den schwächsten in Deutschland. Vier Bundesländer haben das Informationsrecht für Bürger nach wie vor noch nicht gesetzlich festgeschrieben: Sachsen und Bayern sowie Hessen und Niedersachsen, wo die Grünen entsprechende Gesetzesinitiativen zumindest in die Koalitionsvereinbarungen aufgenommen haben.
Ein Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene fehlt ebenfalls weiterhin. Einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2013 zufolge haben Journalisten gegenüber Bundesbehörden lediglich einen „Minimalanspruch“ auf Auskünfte, der sich aus der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit herleitet, und können nicht mehr – wie zuvor üblich – unter Berufung auf die Landespressegesetze Auskunft verlangen. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wies das Bundesverfassungsgericht im Oktober 2015 ab.
In anderen Fällen stellten sich die Richter hingegen klar auf die Seite der Pressefreiheit: Im März 2015 stärkte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Auskunftsrecht der Presse gegenüber Behörden, als es nach einer Klage der Bild-Zeitung entschied, bei überwiegendem Informationsinteresse der Öffentlichkeit genügten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht als Begründung, um Journalisten Auskünfte zu verweigern. Ende Oktober gab das Bundesverfassungsgericht einer Beschwerde des Handelsblattes Recht und befand, die Justiz dürfe die Herausgabe anonymisierter Strafurteile nicht ohne weiteres mit dem Verweis auf laufende Verfahren ablehnen. Im November entschied das Verwaltungsgericht Köln, das Bundesamt für Verfassungsschutz müsse einem Journalisten Auskunft zu einem Disziplinarverfahren wegen der Vernichtung von NSU-Akten erteilen, da ein "überragendes Interesse der Presse und der Öffentlichkeit" bestehe.
Im Februar 2016 gab der Bundestag bekannt, Ausarbeitung und Gutachten seiner Wissenschaftlichen Dienste künftig auf seiner Webseite öffentlich zugänglich zu machen, ohne dass dies einzeln beantragt werden muss. Dem vorausgegangen waren die erfolgreiche Klage eines Journalisten der Tageszeitung Die Welt vor dem Bundesverwaltungsgericht und Initiativen der Transparenzportale Abgeordnetenwatch.de und Fragdenstaat.de.
Medien in der Krise: weniger Vielfalt, mehr versteckte Werbung
Die wirtschaftliche Krise vieler Zeitungs- und Zeitschriftenverlage hält unvermindert an. Grund dafür sind seit Jahren sinkende Auflagenzahlen und der Rückgang im Anzeigengeschäft. Dementsprechend häuften sich Meldungen über Entlassungen und Einsparungen. Den Anfang machte im Januar 2015 der Zeitschriftenverlag Hubert Burda Media, der durch die Entlassung von mehr als 40 Schlussredakteuren einen siebenstelligen Betrag einsparen wollte. Im Dezember verkündete der Spiegel-Verlag ein massives Sparprogramm, im Zuge dessen rund 150 Stellen – fast jeder fünfte Mitarbeiter – gestrichen werden sollten. Beim Berliner Tagesspiegel bekamen freie Mitarbeiter in den letzten zehn Wochen des Jahres 2015 keine Aufträge mehr. Im Februar 2016 verkündete Stefan Aust als neuer Chefredakteur von WeltN24 ein Reformpaket, das Print, Online und TV enger verzahnt und durch das etwa 50 Stellen wegfallen.
Durch die Zusammenlegung von Redaktionen ging die Zahl der Zeitungen mit eigenen Vollredaktionen 2015 weiter zurück. In zunehmendem Maße liefern Zentralredaktionen großer Regionalverlage identische Inhalte an diverse Abnehmer, mit der Folge, dass Pressevielfalt oft nur noch bei Titel und Layout besteht, nicht aber bei Inhalt und Ausrichtung der Zeitungen in einer Region. Der Bremer Weser-Kurier etwa verzichtet seit Juli 2015 auf einen eigenen Berlin-Korrespondenten und lässt sich die Inhalte von der DuMont Hauptstadtredaktion liefern, die bereits den überregionalen Teil für die Berliner Zeitung, die Frankfurter Rundschau und mehrere Regionalzeitungen produziert. Im Sommer verkündeten auch Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, ihre Inhalte künftig in einer Gemeinschaftsredaktion zu produzieren und dadurch Personal zu sparen. Im September 2015 wurde bekannt, dass die Mediengruppe Madsack die gemeinsame Mantelredaktion von Lübecker Nachrichten und Ostsee-Zeitung durch das konzerneigene RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) in Hannover ersetzen will. Das RND beliefert seit 2013 mehr als 30 deutsche Tageszeitungen mit überregionalen Inhalten, im Oktober kam die Neue Westfälische in Bielefeld hinzu.
Zum dritten großen Spieler auf dem Markt wurde im September die Funke Mediengruppe, deren Zentralredaktion in Berlin alle zwölf Regionalzeitungen des Konzerns mit Inhalten versorgen soll. Seit September 2015 produzierte sie zunächst die Mantelteile für Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt. Wenig später kamen die vier Regionalzeitungen der Gruppe in Nordrhein-Westfalen hinzu, im Sommer 2016 sollen ihre restlichen Titel in Thüringen und Braunschweig folgen. Auch Thüringer Allgemeine, Ostthüringische Zeitung und Thüringische Landeszeitung verlieren damit ihre bisher eigenständigen Mantelredaktionen. Immer mehr zum Dienstleister wird auch die vergleichsweise kleine Hauptstadtredaktion der Rheinischen Post: Zusätzlich zum eigenen Blatt versorgt sie bereits die Aachener Zeitung und die Rhein-Zeitung mit Inhalten, im Dezember 2015 kamen die Medien der Allgemeinen Zeitung (Mainz) und des Wiesbadener Kuriers hinzu, das Darmstädter Echo soll folgen.
Viele Redaktionen weichen die Trennung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten immer stärker auf. Verlage und Anzeigenkunden setzen zunehmend auf sogenanntes Native Advertising, das ins Layout der Redaktion integriert wird – auf Anzeigen also, die wirken als seien sie von der Redaktion produziert und die ihren Lesern suggerieren, hier ginge es um unabhängige Information. Nach den Ablegern der erfolgreichen US-Portale Huffington Post und Buzzfeed experimentieren in Deutschland vor allem Online-Magazine für junge Zielgruppen wie ze.tt unter dem Dach von Zeit Online (seit Juli 2015) oder bento.de vom Spiegel-Verlag (seit November 2015) mit Native Advertising. International tun dies längst auch Qualitätsmedien wie die New York Times, das Wall Street Journal und der Guardian.
Der Presserat sprach von Januar 2015 bis März 2016 20 Rügen wegen mangelnder Trennung von Redaktion und Werbung aus, vor allem gegen Publikumszeitschriften oder Regionalzeitungen, aber auch gegen überregionale Titel wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. In zahlreichen Fällen wurden Produkte – ob Erkältungspräparate, Bankkredite oder Urlaubshotels – ausführlich in Artikeln gewürdigt und daneben Anzeigen der entsprechenden Unternehmen platziert. Wiederholt erschienen im redaktionellen Teil von Zeitungen aber auch von Herstellern selbst verfasste Texte, zum Teil über mehrere Seiten, ohne als solche gekennzeichnet zu sein. Etliche weitere Fälle gelangen gar nicht erst vor den Presserat. So sorgte Spiegel Online für Kritik, als es im August ein Themenspezial „Kopfschmerzen“ von einem Tablettenhersteller präsentieren ließ und die recherchierenden Journalisten damit in den Ruch des Auftragsjournalismus brachte.
Das Problem ist nicht auf Print- und Onlinemedien beschränkt. So gibt es inzwischen einen florierenden Markt von Themendiensten und PR-Agenturen, die Radiosendern im Auftrag von Firmen und Organisationen Material anbieten. Sie liefern kostenlos professionell gesprochene und geschnittene Beiträge, Experten-O-Töne, Umfragen und Interviews – oft von erfahrenen PR-Leuten produziert, die früher selbst beim Radio gearbeitet haben und die Bedürfnisse der Branche genau kennen. Zum Teil laufen diese serviceorientierten "Infomercials" im redaktionellen Teil, zum Teil auf speziellen Sendeplätzen, für den Hörer jedoch meist kaum erkennbar abgetrennt vom normalen Programm. Auftraggeber sind dabei nicht nur Unternehmen, sondern auch staatliche Institutionen oder Wohlfahrtsverbände. Im September geriet das Privatradio SAW – der meist gehörte Sender Sachsen-Anhalts – in die Kritik, weil er sich von der Investitionsbank des Landes rund 10.000 Euro für eine zweistündige Sondersendung über ein staatliches Sanierungsprojekt hatte bezahlen lassen, in der auch der Finanzminister auftrat.
Der Arbeitskreis Corporate Compliance der deutschen Wirtschaft arbeitete im Februar 2015 aus Sorge um die Unabhängigkeit der Medien einen „Kodex für die Medienarbeit von Unternehmen“ aus. Dem Arbeitskreis gehören die Compliance-Verantwortlichen zahlreicher Dax-Konzerne wie Allianz, BASF, Deutsche Bank, Lufthansa, Telekom, Eon und Volkswagen an. „Unternehmen können heute in einem Ausmaß redaktionelle Berichterstattung kaufen, wie das früher völlig undenkbar war. Und sie machen davon Gebrauch“, sagte der Vorsitzende des Arbeitskreises, Jürgen Gramke. Der Kodex hat das Ziel, die Trennung zwischen Werbung und unabhängiger journalistischer Berichterstattung wieder einzuführen.
Ausgewählte Übergriffe auf Journalisten 2015/16
21.01.2015, Leipzig: Journalisten bespuckt und geschlagen
Bei einer Legida-Demonstration in Leipzig kommt es zu massiven Übergriffen auf Journalisten. Medienberichten zufolge werden mehrere Medienvertreter beschimpft, bespuckt und geschlagen und ihre Ausrüstung beschädigt. Laut Leipziger Volkszeitung soll sich eine Gruppe von ca. 50 Legida-Anhängern auf die vor dem Demonstrationszug laufenden Journalisten gestürzt haben. Auch Legida-Ordner sollen Journalisten bedrängt haben.
30.01.2015, Leipzig: Polizist schlägt Kameramann ins Gesicht
Während ein Journalist bei einer Legida-Demonstration in Leipzig einen Polizeieinsatz filmt, schlägt ihm ein Polizist die Kamera weg. Dann geht der Polizist auf ihn los und schlägt ihm ins Gesicht. Mehrere Polizisten zerren den Reporter zu einem Einsatzwagen, ihm wird Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte Körperverletzung vorgeworfen. Mit dem Versuch, seine Kamera zu beschlagnahmen, scheiterte die Polizei.
09.03.2015, Dortmund: Journalist auf Nazi-Demo mit Steinen beworfen
Ein Journalist wird am Rande einer Neonazi-Kundgebung in Dortmund mit Steinen beworfen und verletzt. Wenige Wochen zuvor hatten Rechtsextreme gefälschte Todesanzeigen über ihn verbreitet und ihn bedroht.
28.09.2015, Dresden: Zeitungsjournalisten getreten und geschlagen
Bei einer Pegida-Demonstration in Dresden wird ein MDR-Reporter getreten und ein Journalist der Dresdener Neuen Nachrichten ins Gesicht geschlagen. Die Täter tauchen in der johlenden Menge unter.
19.10.2015, Dresden: Gewalt gegen Journalisten am Pegida-Jahrestag
Bei der Demonstration zum Jahrestag der Pegida-Bewegung werden in Dresden mehrere Journalisten angegriffen. Jaafar Abdul Karim (Deutsche Welle) wird von Demonstranten umringt, beim Drehen behindert und unter anderem als „Kanake“ beschimpft. Ein Demonstrant schlägt ihn in den Nacken. Der Kameramann Jose Sequeira (Ruptly) wird geschlagen und seine Ausrüstung zu Boden geworfen. Ein Deutschlandradio-Mitarbeiter wird vor einem Übertragungswagen des Senders von einem betrunkenen Gegendemonstranten angegriffen und leicht verletzt.
11.01.2016, Leipzig: MDR-Reporterin Ine Dippmann geschlagen
Bei einer Legida-Demonstration in Leipzig schlägt eine ältere Frau der MDR Info-Reporterin Ine Dippmann zunächst das Handy aus der Hand und dann mit voller Wucht ins Gesicht. Der Sender kündigt daraufhin an, seine Mitarbeiter bei solchen Einsätzen künftig von Sicherheitspersonal begleiten zu lassen. Auch ein Welt-Journalist wird nach eigenen Angaben beschimpft und von einem Legida-Anhänger bedrängt.
27.01.2016, Magdeburg: Journalisten mit Pfefferspray angegriffen
Bei einer AfD-Demonstration in Magdeburg werden eine Redakteurin und ein Kameramann des MDR aus der Menge heraus mit Pfefferspray angegriffen. Beide müssen medizinisch versorgt werden und stellen Strafanzeige. Auch ein ZDF-Kameramann wird nach Angaben des Senders im Gesicht getroffen. Der mutmaßliche Täter wird nach Polizeiangaben festgenommen.
22.02.2016, Wismar: Fotograf ins Gesicht geschlagen
Bei einer MVgida-Demonstration in Grevesmühlen bei Wismar werden Pressevertreter bedrängt und an ihrer Arbeit gehindert. Ein Demonstrant schlägt einem freien Fotografen ins Gesicht und verletzt ihn leicht. Dann flüchtet der Angreifer.
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