Deutschland
16.04.2024
RSF kritisiert Verfahrenseinstellung nach Attacke
Mehr als zehn Männer griffen im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu insgesamt sechs Medienschaffende, eine Begleitschützerin und einen Begleitschützer an. Gegen vier der Angreifer wurde Anklage erhoben. Das Verfahren gegen einen von ihnen wurde nun vor dem Amtsgericht Dresden wegen versuchter Körperverletzung und Nötigung gegen eine Geldauflage eingestellt. Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert diese Einstellung des Verfahrens sowie den fehlenden Einsatz der Ermittlungsbehörden und des Gerichts für den Schutz der Pressefreiheit. Zudem wirft der Umgang der Behörden mit den Betroffenen viele Fragen auf.
„Täter-Opfer-Umkehr, mangelnder Zeugenschutz und der Unwille der Behörden, den pressefeindlichen Hintergrund zu erkennen: Die betroffenen Reporter und weitere Prozessbeobachtende schildern uns ein Verfahren, das absolut kein Bild konsequenter Strafverfolgung dieser Übergriffe auf Berichterstattende zeigt. Ausgerechnet in einem Bundesland, in dem sich Journalistinnen und Journalisten zum Teil nur mit Begleitschutz zu Versammlungen begeben können, versagen die Strafverfolgung und die Gerichte dabei, Angriffe auf die Pressefreiheit als solche anzuerkennen“, sagte Martin Kaul, RSF-Vorstandssprecher.
Hintergründe der Attacke
Am 13. Februar 2022, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, liefen um die 200 Menschen bei einem „Laubegaster Sonntagsspaziergang” mit, einer nicht angemeldeten Versammlung ohne Polizeibegleitung, die im verschwörungsideologischen Kontext der Pandemie-Situation verortet wird. Nach Berichten der Sächsischen Zeitung waren auch Akteure wie Marcus Fuchs von der „Initiative Querdenken Dresden” und Max Schreiber, Pirnaer Kreisvorsitzender der rechtsextremen „Freien Sachsen“, unter den Teilnehmenden.
Während der Berichterstattung von der Veranstaltung mussten sechs Fotoreporter ihre Arbeit abbrechen, da sie wütend beschimpft, bedroht und weggejagt wurden: Einige der Angreifer, von denen mehrere nach Aussage der lokalen Reporter bekannte und langjährig aktive Neonazis sind, verfolgten die Fotojournalisten fast einen Kilometer durch den Stadtteil Laubegast. Mit dabei waren eine ehrenamtliche Begleitschützerin und ein Begleitschützer von Between The Lines, einer Initiative aus Sachsen, die freiwillige Begleitung an Reporterinnen und Reporter vermittelt. Diese begleiten die Medienschaffenden zu Versammlungen in Sachsen und versuchen sie zu schützen und zu deeskalieren. Immer häufiger müssen sie auch angezeigte Gewalttaten bezeugen.
Am 13. Februar 2022 in Dresden kam es nach Aussage der Betroffenen zu Beleidigungen, Drohungen, Tritten und einem Schlag mit einem Fahrradschloss auf den Begleitschützer, der als Nebenkläger im Prozess auftritt. Es ging unter anderem eine Begleitschützerin zu Boden, woraufhin vier der Angreifer auf die am Boden liegende Frau zu rannten. Sie konnten nur durch Pfeffersprayeinsatz des anderen Begleitschützers daran gehindert werden, zuzutreten. Die meisten Angreifer brachen ihre Beteiligung erst ab, nachdem sie durch das Abwehrspray angriffsunfähig waren. Die Betroffenen zeigten die Attacken an.
Das umstrittene Verfahren
Obwohl die Reporter die Polizei vor dem politischen „Spaziergang” über ihre geplante Berichterstattung informiert und auch währenddessen immer wieder alarmiert hatten, traf die Polizei erst nach dem Vorfall ein, verdächtigte sie dann jedoch selbst, Straftaten begangen zu haben, und erstellte auf offener Straße Fotografien der betroffenen Reporter. Später ließ ein Polizist aktenkundig machen, dass hier eine „Art Gegenprotest, in welchem auch Pressevertreter anwesend waren", zur Eskalation geführt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelte anschließend sowohl gegen die Angreifer als auch wegen gefährlicher Körperverletzung gegen zwei Begleitschützende und einen Journalisten und stellte das Verfahren erst ein Jahr später, im Februar 2023, ein.
Im Verfahren gegen die Angreifer erhob die Staatsanwaltschaft Dresden schließlich gegen vier der mehr als zehn Tatbeteiligten Anklage. Darunter ist die regionale Führungsperson der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“, Max Schreiber. Was die Betroffenen besorgt: In beiden Akten tauchen immer wieder persönliche Daten der Opfer auf – trotz beantragter und auch angeordneter Zeugenschutzmaßnahmen.
Über zwei Jahre nach dem Angriff begann nun am Freitag, 12. April, der Prozess gegen zwei der vier angeklagten Angreifer. Den 45 und 47 Jahre alten Angeklagten wird Nötigung und versuchte Körperverletzung vorgeworfen. Zwei weitere werden sich später im Jahr für diesen Angriff und wegen weiterer Vorwürfe in einem getrennten Verfahren vor Gericht verantworten müssen.
Einstellung des Verfahrens, ohne Betroffenen zu hören
Einer der beiden, der den Begleitschützer mehrmals getreten hatte, gab vor Gericht an, nur in die Situation geraten zu sein, weil er deeskalieren wollte. Er behauptete vor der Richterin auch, zum ersten Mal auf so einer Versammlung gewesen zu sein. Nach Berichten der Sächsischen Zeitung war er jedoch bereits spätestens im Oktober 2021 als Redner auf einer Querdenker-Bühne vor dem Kulturpalast aufgetreten. Dennoch wurde das Verfahren gegen den nicht vorbestraften Mann gegen eine Geldauflage von 1.000 Euro an Reporter ohne Grenzen eingestellt. Die Entscheidung wurde unter anderem vom Anwalt der Nebenklage kritisiert, da sein Mandant, der verletzte Begleitschützer von Between The Lines, gar nicht vom Gericht gehört worden sei.
Auch der zweite Angeklagte, dessen Prozess am 29.04. fortgeführt wird, beharrt auf seiner Unschuld. Mehrere Fotojournalisten und die Begleitschützerin können den Schlag mit einem Fahrradschloss auf den Begleitschützer jedoch bezeugen. RSF fordert das Amtsgericht Dresden auf, in diesem noch anhängigen und dem weiteren anstehenden Verfahren die Gefährdung für und die Auswirkungen auf die Pressefreiheit angemessen zu berücksichtigen. Taten wie die hier angeklagten müssen als Angriffe auf das Recht auf Information gesehen werden.
Ein Urteil oder Freispruch hat nicht nur Folgen für die Betroffenen, sondern auch eine Signalwirkung über den Einzelfall hinaus. RSF setzt sich dafür ein, dass die Rechtsanwendung die Pressefreiheit stärkt und journalistische Arbeit schützt, anstatt von Berichterstattung abzuschrecken. Medienschaffende müssen sich darauf verlassen können, dass Angriffe gegen sie von der Strafverfolgung ernst genommen werden.
Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern.
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