Rangliste der Pressefreiheit

Journalisten kämpfen in der Pandemie gegen neue und alte Gefahren

Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie stehen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Medienschaffende schränkten die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein. Die Rangliste der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt, dass repressive Staaten die Pandemie missbrauchten, um freie Berichterstattung weiter einzuschränken, und sich auch gefestigte Demokratien in der Krise schwertaten, sicherzustellen, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit machen können.

Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „gut“ bewertete. Ihre Zahl sank von 13 auf 12. Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen: „Aufgrund der vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen mussten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von ‚gut‘ auf nur noch ‚zufriedenstellend‘ herabstufen: ein deutliches Alarmsignal.“ 

Rediske weiter: „Unabhängiger Journalismus ist das einzig wirksame Mittel gegen die Desinformations-Pandemie, die seit einem Jahr die Corona-Pandemie begleitet. Gleichzeitig ist es im vergangenen Jahr für viele Journalistinnen und Journalisten schwieriger denn je geworden, ohne Angst vor Gewalt oder Repressionen zu arbeiten. Wenn die Welt nun hoffentlich bald zur Normalität zurückkehrt, muss auch der Respekt für die unabdingbare Rolle des Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft zurückkehren.“

  

Corona-Pandemie verstärkte und festigte repressive Tendenzen

Die Corona-Pandemie verstärkte und festigte weltweit repressive Tendenzen: In Ungarn wurde die Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die Pandemie ebenso unter Strafe gestellt wie in Malaysia. Ägypten verbot die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen, das Assad-Regime in Syrien verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien außer der staatlichen Nachrichtenagentur. Tatsächliche Desinformation ging in der Pandemie von zahlreichen Regierungen sowie Staats- und Regierungschefs aus. Der damalige Präsident der USA, Donald Trump, propagierte ebenso wirkungslose oder sogar gefährliche Mittel gegen Covid-19 wie seine Amtskollegen Jair Bolsonaro in Brasilien oder Nicolás Maduro in Venezuela.

In so unterschiedlichen Staaten wie China, Venezuela, Serbien und dem Kosovo wurden Medienschaffende wegen ihrer Corona-Berichterstattung festgenommen. In China sitzen aktuell mehr als 100 Medienschaffende im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt.

Doch auch jenseits der Pandemie fanden autoritäre Regime Anlässe, um unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken. In Vietnam kam es im Vorfeld des Kongresses der Kommunistischen Partei zu einer Verhaftungswelle. In Belarus wurden im Laufe des Jahres mehr als 400 Medienschaffende festgenommen, die meisten von ihnen vorübergehend. Sie hatten über die Massenproteste nach der umstrittenen Präsidentenwahl berichtet. In Algerien und Marokko wird die Justiz missbraucht, um kritische Journalistinnen und Journalisten mit absurden Anklagen einzuschüchtern. Russland führte eine Vielzahl von Gesetzen ein, die die Pressefreiheit weiter einschränken und Online-Überwachung verstärken.

In verschiedenen Teilen der Welt hetzten Staats- und Regierungschefs gegen die Institution Presse wie auch gegen einzelne Journalistinnen und Journalisten und schufen so ein Klima der Aggressivität und des Misstrauens. Beispiele sind Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien und Ministerpräsident Janez Janša in Slowenien. In den USA schlug die aggressive Atmosphäre in nie dagewesenem Ausmaß in Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten um, vor allem im Umfeld der Black-Lives-Matter-Proteste. Auch in anderen Ländern kam es im Zusammenhang mit Demonstrationen zu Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, so etwa in Deutschland, Frankreich, Haiti, Chile und Kirgistan.

Länder wie Mexiko und Honduras, aber auch Afghanistan und der Irak bleiben lebensgefährlich für Medienschaffende. Die meisten Journalistenmorde früherer Jahre sind weiterhin ungesühnt. In einem der prominentesten Fälle, dem des Journalisten Jamal Khashoggi, torpediert Saudi-Arabien nach wie vor unabhängige Ermittlungen. Im Iran wurde 2020 der Journalist Ruhollah Sam hingerichtet – die erste staatliche Exekution eines Medienschaffenden seit 30 Jahren.

Pressefreiheit in fast drei Viertel der Länder bedeutend eingeschränkt

Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „gut“ bewertete. Ihre Zahl sank von 13 auf 12. Das Land, dessen Situation nicht mehr als „gut“, sondern nur noch als „zufriedenstellend“ bewertet wird und dessen Farbe auf der Weltkarte der Pressefreiheit folglich von weiß zu gelb wechselt, ist Deutschland. Dort wurden Dutzende Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen angegriffen. In 73 von 180 Ländern wird unabhängiger Journalismus weitgehend oder vollständig blockiert (rot oder schwarz auf der Weltkarte), in 59 weiteren ernsthaft behindert (orange auf der Weltkarte). Demnach ist die Pressefreiheit in fast drei Viertel der Länder der Welt zumindest bedeutend eingeschränkt.

Länder, die sich auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 deutlich verbessert haben, liegen vor allem in Subsahara-Afrika, allen voran Burundi, die Seychellen, Sierra Leone und Mali. Nichtsdestotrotz bleibt Afrika der gefährlichste Kontinent für Medienschaffende. Die größten Abstiege haben mit Malaysia, den Komoren und El Salvador drei Länder zu verzeichnen, in denen die jeweiligen Regierungen mit aller Macht die Deutungshoheit über die Corona-Pandemie behalten wollen.

Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland erreicht nie dagewesene Dimension

Deutschland verschlechtert sich in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit um zwei Plätze vom 11. auf den 13. Rang. Seine Punktzahl rutscht von 12,16 auf 15,24 ab und überschreitet damit die Marke von 15 Punkten, ab der RSF die Situation in einem Land als „zufriedenstellend“ einstuft und nicht mehr als „gut“. Die Farbe Deutschlands auf der Weltkarte der Pressefreiheit wechselt entsprechend von weiß auf gelb.

Hauptgrund dieser Bewertung ist, dass Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht hat: Im Kalenderjahr 2020 zählte RSF mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Land. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (mindestens 13 Übergriffe) verfünffacht. Die Organisation geht zudem davon aus, dass die Dunkelziffer 2020 höher ist als in den Vorjahren.

Die Mehrheit der körperlichen und verbalen Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestoßen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen, darunter neben den Corona-Protesten zum Beispiel auch auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org und auf Demos zum 1. Mai.   

Ein positives Zeichen für die Pressefreiheit in Deutschland setzte im Mai 2020 das Bundesverfassungsgericht, als es die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärte. Doch das BND-Gesetz bleibt auch in der Ende März 2021 verabschiedeten Neufassung problematisch und schließt die Möglichkeit zur Überwachung ausländischer Medienschaffender weiter nicht aus. Zudem will die Bundesregierung zahlreiche neue Möglichkeiten zur Daten-Überwachung durch Geheimdienste und die Bundespolizei schaffen.

Situation in 180 Ländern im Vergleich

Die Rangliste der Pressefreiheit 2021 vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Grundlagen sind ein Fragebogen zu verschiedenen Aspekten journalistischer Arbeit sowie die von RSF ermittelten Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Medienschaffende im Kalenderjahr 2020. Daraus ergeben sich für jedes Land Punktwerte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzierung in der Rangliste ergeben. Über die Entwicklung der Situation in einem Land gibt entsprechend eher ein Vergleich der Punktwerte verschiedener Jahre Auskunft als die Bewegung auf der Rangliste. Abhängig vom Abschneiden anderer Länder kann ein Land in der Rangliste im Einzelfall auch aufsteigen, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat, und umgekehrt. (Mehr zur Methodik der Rangliste hier)

Die Befragung fand zwischen Mitte Dezember 2020 und Ende Januar 2021 statt. Ereignisse, die danach stattgefunden haben, wie etwa der Militärputsch in Myanmar, spiegeln sich dementsprechend nicht in der Rangliste wider.

Globaler Indikator der Pressefreiheit fast unverändert gegenüber Vorjahr

Aus der Summe der Punktwerte aller bewerteten Länder bildet RSF einen globalen Indikator der Pressefreiheit, der eine Bewertung der Entwicklung weltweit sowie einen Vergleich verschiedener Weltregionen erlaubt. 2021 ist er um 0,3 Prozent gesunken, was eine minimale Verbesserung der globalen Lage der Pressefreiheit bedeutet. Gegenüber dem Jahr seiner Einführung 2013 zeigt der Indikator eine Verschlechterung um rund 12 Prozent an, wobei er seit seinem Höchststand im Jahr 2017 um 1,9 Prozent gesunken ist und sich somit langsam verbessert.

Gegenüber dem Vorjahr verschlechtert hat sich die Lage der Pressefreiheit auf dem amerikanischen Doppelkontinent (um 2,5 Prozent), in Subsahara-Afrika (um 1,9 Prozent), Asien-Pazifik (um 1,3 Prozent) sowie Nahost und Nordafrika (um 0,7 Prozent). In Osteuropa und Zentralasien (um 3,7 Prozent) und vor allem in der Region EU-Balkan (um 6,4 Prozent) hat sie sich verbessert. Osteuropa und Zentralasien ist aber noch immer die Weltregion, in der es am zweitschlechtesten um die Pressefreiheit steht. Schlusslicht ist nach wie vor die Region Naher Osten und Nordafrika. Im regionalen Vergleich am besten ist die Situation in den Staaten der EU und des Balkans.

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