Interview mit Peter Kleim über seine Arbeit als Korrespondent im Weißen Haus
Reporter ohne Grenzen sprach mit Peter Kleim, dem Büroleiter in Washington für RTL und n-tv, über die Arbeit unter verschiedenen US-Präsidenten und warum es gerade mit Donald Trump schwieriger ist als sonst. Kleim ist zurzeit das einzige deutsche Mitglied in der „White House Correspondents‘ Association“.
Herr Kleim, wie genau funktioniert der White House Pool?
Peter Kleim: Es gibt einen Pool im Weißen Haus, weil der amerikanische Präsident bei öffentlichen Terminen von Journalisten immer eng gecovert wird, aber logischerweise nicht alle, die Interesse haben, mit im Oval Office oder in der Air Force One sein könnten. Aus dem Grund gibt es ein Rotationsprinzip: jeden Tag ein anderer von einer bestimmten Mediengattung oder jeden Tag ein anderer Ausländer. Wir als Auslandskorrespondenten sitzen nicht in der Air Force One, aber haben Zugang zum Oval Office oder Kabinetts-Meetings, zu all dem, was im Weißen Haus geschieht. Unsere Aufgabe ist es dann, den Kollegen, die nicht dabei sein können, zu berichten, und zwar noch bevor man den eigenen Sender oder die eigene Zeitung beliefert. Der große Unterschied zwischen Washington und Berlin ist, dass in Berlin das Bundespresseamt entscheidet, wer zum Beispiel die Kanzlerin bei einem Auslandsflug begleitet. Hier in Washington entscheiden die Journalisten darüber, weil die White House Correspondents Association den Pool per Rotation am Anfang jedes Monats festlegt.
Wie hat sich das Prozedere seit der Pandemie geändert?
Peter Kleim: Das hat sich grundlegend geändert. Vorher war es so, dass man mindestens dreimal die Woche im Weißen Haus sein musste, sonst hätte man seine Presseakkreditierung verloren - denn die ist nur für hauptamtliche White-House-Korrespondenten. Jetzt wird man von den Kollegen der White House Association angehalten, möglichst nicht zu kommen, wenn man an dem Tag nicht seinen Pool-Dienst verrichten muss. Denn man möchte in den sehr, sehr beengten Räumlichkeiten möglichst wenige Leute haben.
In den ersten Wochen gab es am Nordwest-Eingang des Weißen Hauses ein Zelt. Dort wurde Fieber gemessen, und man bekam jeden Morgen einen Corona-Schnelltest. Das Erstaunliche ist, dass bis zu Donald Trumps eigener Corona-Erkrankung selbst die Secret-Service-Beamten in der Sicherheitsschleuse - wo sie wirklich sehr nah an einem dran waren und einen abgetastet haben - zum großen Teil keine Maske getragen haben. Und auch Donald Trumps Mitarbeiter wie zum Beispiel der Pressestab sowieso grundsätzlich ohne Masken aufgetreten sind.
Wie viele US-Präsidenten haben Sie gecovert und inwiefern war die Arbeit von Präsident zu Präsident unterschiedlich?
Peter Kleim: Trump ist jetzt mein dritter. Ich war bereits in den 90er Jahren in den USA. Das war unter Bill Clinton. Da habe ich auch seine beiden Wahlen gecovert und dann die zweite Amtszeit von Obama und jetzt die erste von Trump. Der große Unterschied ist, dass der Zugang über all die Jahre immer schlechter wurde. Bei Bill Clinton gab es morgens ein sogenanntes Gaggle, das ist ein informelles Briefing. Da ging man in das Büro des damaligen Regierungssprechers Mike McCurry. Ich entsinne mich, wie eine Traube von Journalisten um seinen Schreibtisch herumstand und den Tag durchging. Das gab es bei Obama schon nicht mehr. Aber es gab zumindest jeden Tag gegen 14 Uhr ein tägliches Briefing. Unter Donald Trump gab es öfters lange Zeit nicht einmal mehr das.
Wie hat sich Ihre Arbeit verändert, seitdem Trump im Amt ist?
Peter Kleim: Wir Auslandskorrespondenten sind eine Subgruppe in der White House Correspondents Association, ungefähr 18 Journalisten aus allen Erdteilen. Wir hatten unter Obama zweimal im Jahr ein Hintergrundgespräch mit Ben Rhodes, einem engen Mitarbeiter von Obama. Dort ging man im Prinzip alles durch, was so auf dem Tapet in der Außenpolitik des Präsidenten stand. Rhodes hat da keine Staatsgeheimnisse von sich gegeben, aber das ist in keinem Hintergrundgespräch so. Das ist auch in Berlin nicht anders. Aber es war doch ein Unterschied, wenn man jemandem gegenübersitzt und sieht, wie er auf eine Frage antwortet. Wie denn zum Beispiel dieser Kommentar zu Angela Merkel zu verstehen war, das kann man nicht nur verbal äußern, was jemand zitieren könnte, man kann es auch nonverbal klarmachen, zum Beispiel mit einem Gesichtsausdruck. Man hatte auch regelmäßig Gespräche mit dem Regierungssprecher in der Gruppe der Auslandskorrespondenten, die zum besseren Verständnis der Pläne des Präsidenten oder der Administration beitrugen. Unter Donald Trump gibt es keine Gespräche. Es gab genau ein Gespräch mit Regierungssprecherin Sarah Sanders, aber äußerst kühl und kurz. Anfangs gab es noch ab und zu Hintergrundgespräche mit Mitarbeitern vom National Security Council (NCS). Aber diese Hintergrundgespräche sind dann eingeschlafen, auch weil die Sicherheitsberater am laufenden Band gewechselt haben. Und am Ende ist die Auslandspresse vor allem für die erste Amtszeit eines Präsidenten nicht wichtig.
Was erschwert Ihre Arbeit am meisten unter Trump?
Peter Kleim: Dieser Nicht-Zugang auf der einen Seite. Es ist nicht so, dass sie uns Ausländern gegenüber unhöflich sind - sie sind eher gleichgültig. Und das andere ist eine ganz simple Geschichte: Es ist das Kommen und Gehen im Weißen Haus unter Trump. John Bolton hat ja in seinem Buch geschrieben, das Weiße Haus habe ihn an ein Dorm erinnert, ein Studentenwohnheim. Und es ist tatsächlich so. Im NSC zum Beispiel hat man alle vier, fünf, sechs Monate einen neuen Ansprechpartner. Am Ende weiß man gar nicht mehr, wer jetzt da ist und wer zum Beispiel für Europa zuständig ist. Diese ständige Fluktuation, gepaart mit einer sowieso sehr Presse-skeptischen Grundhaltung, ist nicht gerade hilfreich.
Mit all diesen ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen unter Trump – gibt es etwas, was Sie dennoch überrascht hat?
Peter Kleim: Dieser düstere und ablehnende Tonfall, der bei den Briefings herrschte. Vor allem bei Sarah Sanders. Das gab es vorher nicht. Keinem Regierungssprecher sind alle Journalisten sympathisch, niemand freut sich über kritische Fragen. Wenn das so wäre, wenn die sich gegenseitig immer in die Arme fallen würden, dann hätte jemand seinen Job nicht gut gemacht. Aber es gab doch zumindest unter Obama einen Grundrespekt dafür, was das Gegenüber für eine Funktion hat in einer offenen demokratischen Gesellschaft. Unter Donald Trump hat man das Gefühl, dass es diesen Grundrespekt nicht gibt, sondern dass Trumps Adlaten, die dort stehen als Regierungssprecher, nur einen Kunden haben und das ist Donald Trump - der im Oval Office zuschaut. Für die ist Presse nur wichtig, wenn es hilft, den Präsidenten zu verkaufen, und wenn es Trump persönlich hilft. Ansonsten ist die Presse halt der Feind des Volk
Glauben Sie, dass Trump Pressefreiheit überhaupt schätzt?
Peter Kleim: Trump schätzt die Pressefreiheit dann, wenn es ihm nutzt. Wir wissen ja aus den zahlreichen Biografien, dass er noch zu New Yorker Zeiten als Baulöwe und Playboy mit verstellter Stimme die New York Post angerufen hat, um in den Klatschspalten „Neues“ über Donald zu berichten - als vermeintlich dritte Person, nur um in der Zeitung zu stehen. Und der größte Traum war, in der New York Times zu erscheinen. Dann liebt er die Presse. Aber wenn die Presse kritisch mit ihm umgeht, dann ist das furchtbar für ihn. Für ihn ist alles ein Transaktionsverhältnis. Es ist immer die Frage: Was bekomme ich daraus? Sei es in der Außenpolitik oder im Umgang mit der Presse.
Was ist das Krasseste, was Sie im White House unter Trump beobachtet haben?
Peter Kleim: Das Krasseste, fand ich, war der Vorfall mit Jim Acosta, dem White-House-Korrespondenten von CNN. Die Trump-Leute haben versucht, ihm den Hard Pass, also seine Akkreditierung, zu entziehen, und ihm damit den Zugang zum Weißen Haus zunichte zu machen und seine Arbeitsgrundlage zu zerstören. So etwas hat es nach meinem Kenntnisstand vorher nicht gegeben. Das war Alarmstufe Rot - für alle Korrespondenten. Das Weiße Haus hat dann ganz schnell gemerkt, auf welchen Pfad sie sich da begeben haben, und hat Acosta ganz schnell seinen Pass zurückgegeben. Aber der Versuch allein, dieser Einschüchterungsversuch, das war schon unerhört.
Wird die Wahlnacht für die Berichterstattenden dieses Jahr anders werden als sonst?
Peter Kleim: Der Trump-Aspekt ist das eine. Es war bereits 2016 so, dass wir bei Trump gar nicht reingekommen sind. Wir standen damals in New York draußen auf der Straße vor dem Hotel. Das lag zum einen daran, dass die Trump-Leute nicht damit gerechnet hatten, dass sie gewinnen würden, und keinen großen Saal im Hilton gemietet hatten. Und zum anderen aber auch, weil die Auslandspresse völlig uninteressant für sie war. Dieses Jahr wird es Pandemie-bedingt natürlich noch einmal ganz anders. Bei Joe Biden werden wir draußen vorm Hotel stehen. Bei Trump hier in seinem Hotel in Washington wissen wir noch nicht, wie der Zugang sein wird. Aber ich rechne nicht damit, dass wir dabei sein werden. Der White House Pool wird mit Sicherheit dabei sein. Und befreundete Medien von Trump - also wenn Fox nicht dran ist mit dem Pool, dann sind sie trotzdem drin. Oder One America Network oder Breitbart, die werden sicherlich dabei sein.
Sie sagten, Ihre Arbeit ist spannend mit Trump. Werden Sie ihn vermissen, sollte er die Wahl verlieren?
Peter Kleim: Nein. Weil man zwar unter Trump viele, viele Aufmacher und eine große Nachfrage hat und in der Heimatredaktion sehr beliebt ist, weil man viele Sendestrecken füllt, aber am Ende ist man Mensch und Bürger. Und als solcher wäre mir ein etwas normaleres Amerika durchaus lieber. Schauen Sie, ich war damals der erste und letzte DDR-Korrespondent für RTL. Damals hatte man auch ganz viele Aufmacher, und es war für einen Journalisten eine ähnlich interessante Zeit. Aber damals hat man über Hoffnung geschrieben, über Entstehung von Demokratie. Jetzt berichtet man täglich über die Gefährdung von Demokratie. Man ist als Nachkriegs-Mensch - ich bin Jahrgang 56 – damit aufgewachsen und hat die Existenz von liberalen Demokratien, von Emanzipation und Pressefreiheit für selbstverständlich gehalten. Und plötzlich sieht man, dass das nicht mehr selbstverständlich ist - und das nicht nur in Amerika. Und Trump ist eben ein Gesicht für diese Bewegung. Insofern würde ich ihn nicht vermissen, wenn er nicht mehr Präsident ist. Aber er wird auch nicht weg sein.
Warum nicht?
Peter Kleim: Auch, wenn er nicht mehr Präsident sein sollte, wird er eine Stimme in Amerika bleiben. Man darf nicht vergessen: Trump ist der offizielle Anführer einer inoffiziellen rechtspopulistischen Bewegung in Amerika. Da ist er absolut die Galionsfigur. Viele rechnen damit, dass Trump einen Fernsehsender aufmacht. Ein Medienunternehmen - das wäre das entsprechende Sprachrohr, der Lautsprecher, den er hätte. Und selbst wenn er keinen eigenen Laden aufmacht, wird er genug Möglichkeiten finden, medial weiterhin da zu sein. Denn man darf nicht vergessen: Donald Trumps erfolgreichste Periode war die eines Reality-TV-Stars - weit erfolgreicher als die eines Bauunternehmers. Wir werden Donald Trump, leider muss man in dem Fall sagen, weiter erleben.
Das Interview führte Julide Tanriverdi
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