Wahlprüfsteine
zur Bundestagswahl 2021
Welche Ideen und Lösungsansätze haben die Parteien zum Umgang mit aktuellen Bedrohungen für die Pressefreiheit? Zur Hochphase des Bundestagswahlkampfs veröffentlicht Reporter ohne Grenzen (RSF) detaillierte Antworten der Parteien auf Kernfragen des Schutzes der Pressefreiheit. Die Wahlprüfsteine behandeln aktuelle Herausforderungen im In- und Ausland; vom Umgang mit zunehmenden Übergriffen auf Journalist*innen über die Sanktionierung mangelnder Rechtsstaatlichkeit in EU-Staaten bis hin zur Abwägung zwischen staatlichen Überwachungsbefugnissen und dem Recht auf vertrauliche Kommunikation im Netz. Zu acht Themen hat RSF die Stellungnahmen der im Bundestag vertretenen Parteien erfragt. Einzig die AfD hat unsere Anfrage nicht beantwortet. Im Folgenden sind die ungekürzten Antworten der Parteien nachzulesen.
- Schutz von Medienschaffenden
- Förderung von Exilmedien und Medienschaffenden im Exil
- Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in der EU
- Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
- Überwachungsbefugnisse und Nachrichtendienstkontrolle
- Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie
- Informationsfreiheitsgesetz / Auskunftsrechte
- Umgang mit Hassrede im Netz
Schutz von Medienschaffenden
1. Wie werden Sie sich für den verbesserten Schutz von Medienschaffenden gegen Übergriffe einsetzen (tätliche Übergriffe am Rande von Demonstrationen, missbräuchliche Klagen [SLAPP], UN-Sonderbeauftragten/r zum Schutz von Medienschaffenden)?
Hintergrund: Weltweit sind Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten - ob verbaler, physischer oder rechtlicher Natur - an der Tagesordnung bzw. nehmen weiter zu. Die Bundesregierung sollte in internationalen Beziehungen, auf EU-Ebene sowie im nationalen Rahmen verstärkt für den Schutz von Medienschaffenden eintreten.
- Knebelklagen - sogenannte SLAPPs („Strategic Lawsuits against Public Participation“) - gegen Journalistinnen und Journalisten nehmen zu. Medienschaffende werden durch die anschließenden Verfahren von ihrer Arbeit abgehalten. Deutschland sollte sich für die Verabschiedung einer EU-Richtlinie zum Schutz vor Knebelklagen (Anti-SLAPP-Richtlinie) einsetzen, die u.a. eine frühzeitige Zurückweisung solcher Klagen ermöglicht und Missbrauch unter Strafe stellt.
- In Deutschland kam es im Rahmen von Demonstrationenvermehrt zu Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten. Ziel der Innenpolitik auf Bundes- und Länderebene muss eine Verbesserung des Schutzes von Medienschaffenden vor gewalttätigen Übergriffen sein. Hierzu braucht es neben dem politischen Dialog auch konkrete Maßnahmen wie die verbesserte Schulung von Polizeipersonal.
- Die Bundesregierung sprach sich bereits öffentlich für die Schaffung des Postens eines oder einer UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Medienschaffenden und zur Bekämpfung der Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen aus. Deutschland sollte nun im Rahmen von bi- und multilateralen Gesprächen die Schaffung dieses Postens vorantreiben und koordinieren.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: In den letzten Wochen und Monaten ist die Pressefreiheit in Deutschland durch die Respektlosigkeit, den Hass und die Gewalt, die Journalisten auf den Demonstrationen der Querdenker-Szene gegen die Corona-Maßnahmen erleiden, gefährdet worden. CDU und CSU haben als Reaktion auf die zunehmenden Repressionen gegen Medienberichterstatter bereits im Herbst 2020 ein Positionspapier verabschiedet. Darin fordern wir das Auswärtige Amt auf, sich endlich mit Nachdruck für die Einrichtung des Amts eines UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten einzusetzen. Es besteht aber weiter Handlungsbedarf. CDU und CSU wollen deshalb verstärkt Gespräche zwischen den zuständigen Ländern, der Polizeien und den Journalistenverbänden über bessere Schutzkonzepte führen.
SPD: Mit Sorge nehmen wir wahr, dass Journalist*innen und Medienunternehmen in vielen Teilen der Welt zunehmend durch staatliche Institutionen und Amtsträger*innen angegriffen, bedroht und in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. In bilateralen Gesprächen und zwischenstaatlichen Zusammenschlüssen werden wir daher Initiativen für den Schutz der Pressefreiheit sowie der Arbeit von Journalist*innen und Medienunternehmen verstärken. Das Amt eines/einer VN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalist*innen soll baldmöglichst geschaffen werden.
Die SPD setzt sich für ein Ende der strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP) ein. Das Justizsystem ist Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit und der Gerechtigkeit und darf unter keinen Umständen missbraucht werden, um Personen einzuschüchtern, eine Drohkulisse aufzubauen oder gar dazu führen, dass zivilgesellschaftliches Engagement zurückgefahren wird. Sinnvoll erscheint uns eine europäische Gesetzgebung zum Schutz derjenigen, die öffentliche Kritik äußern, da SLAPPs kein nationales Problem sind, wie man an den vielen Fällen in ganz Europa sieht. Ebenso wird die Notwendigkeit eines Anti-SLAPP-Laws im EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht erkennbar.
Die SPD begrüßt den engen Austausch zwischen Presseverbänden und Polizeibehörden hierzulande zum Schutz vor Gewalt, etwa im Vorfeld von öffentlichen Veranstaltungen. Die Unterstützung der Presse darf jedoch keine freiwillige Leistung mit Ermessensspielraum sein. Die SPD wird daher gegenüber den Sicherheitsbehörden verdeutlichen, dass sie die Journalist*innen in besonderer Weise in deren Arbeit unterstützen sollen und anregen, dass Schutzrechte Eingang in die Formel auf dem bundeseinheitlichen Presseausweis finden.
Bündnis 90 Die Grünen: Polizei und Ordner*innen müssen bei Demonstrationen dafür sorgen, dass Journalist*innen auch bei einer aufgeheizten Stimmung sicher ihrer Arbeit nachgehen können. Die Leitlinien des Deutschen Presserats zur Zusammenarbeit zwischen Polizei und Medien müssen dringend auf der Innenministerkonferenz angenommen werden.
Es muss dringend eine EU-Richtlinie gegen Slapp-Klagen kommen. Kläger*innen sollten bei Zivilverfahren stets nachweisen müssen, dass die Klage nicht missbräuchlich ist. Sofern dies nicht möglich ist oder das Gericht die Klage als missbräuchlich anerkennt, wäre das Gericht verpflichtet, die Klage generell abzuweisen. Zudem hätte die gegnerische Partei, also die/der Journalist*in oder die NGO, einen Anspruch auf Schadensersatz. Außerdem brauchen die betroffenen Journalist*innen und NGOs EU-weite praktische Hilfe, etwa auch eine finanzielle Unterstützung bei der juristischen Verteidigung.
Wir GRÜNE wollen erreichen, dass bei den Vereinten Nationen ein Sonderbeauftragter zum Schutz von Journalist*innen eingesetzt wird. Bereits seit 2017 setzen wir uns auch parlamentarisch dafür ein.
FDP: Wir Freie Demokraten wollen Flagge zeigen, Gewalt unterbinden und freie und fest angestellt arbeitende Journalistinnen und Journalisten sowie die Presse- und Medienvertreter schützen, um die verfassungsrechtlich festgeschriebene Pressefreiheit dauerhaft zu gewährleisten. Hierzu hat die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr einen umfassenden Antrag mit dem Titel "Journalisten schützen - Pressefreiheit gewährleisten" eingebracht (BT-Drs. 19/19129). Darin fordern wir unter anderem, die Gewalt gegenüber Presse- und Medienvertreter öffentlich zu verurteilen sowie eine öffentliche Kampagne zur Bedeutung und Freiheit der Medien und des Journalismus anzustrengen. Darüber hinaus wollen wir gemeinsam mit den Ländern Konzepte für die Aus- und Fortbildung von Polizisten im Bereich des Medienrechts und des Umgangs mit Journalisten und Medienvertretern entwickeln und bestehende Konzepte weiterentwickeln. Den vielen freien und fest angestellten Journalistinnen und Journalisten muss es möglich sein, frei und unabhängig zu recherchieren und zu berichten.
Die Linke: Wir setzen uns dafür ein, dass Bund und Länder gemeinsam mit Journalist*innenverbänden eine übergreifende Strategie zum besseren Schutz der Pressefreiheit erarbeitet. Hierzu gehört ein Bündel von Maßnahmen: 1) ein periodischer Bericht "über den Stand, notwendige Schutzmaßnahmen und Herausforderungen für die Pressefreiheit in Deutschland", der auch die ökonomischen Konzentrationsprozesse und ihre Auswirkungen auf Pressefreiheit und -vielfalt analysiert; 2) die Einführung von verbindlichen Modulen zur Rolle der Presse sowie zum Umgang mit Pressevertreter*innen am Rande von Versammlungen in der Aus- und Fortbildung von Polizist*innen; 3) die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Straftaten gegenüber Medienschaffenden in Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit; 3) Gesetzänderungen bezüglich der Auskunftssperre und der Impressumspflicht im Sinne des Schutzes von Medienschaffenden; 4) neben dem geplanten EU-Rechtsakt gegen SLAPP, braucht es auch auf nationaler Ebene umfassende Anti-SLAPP-Gesetze, die u.a. eine einfach zugängliche und umfassende Rechtsschutzversicherung für spezifische Gruppen vorsieht; 5) schließlich unterstützen wir die Forderung nach einer/m UN-Sonderbeauftragten/r zum Schutz von Journalist*innen.
Förderung von Exilmedien und Visavergabe für bedrohte Medienschaffende
2. Wie wollen Sie die finanzielle Situation der in Deutschland sowie in Drittländern ansässigen Exilmedien verbessern? Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland unbürokratisch Nothilfe-Visa für Journalistinnen und Journalisten erteilt, die in ihrer Heimat verfolgt oder bedroht werden?
Hintergrund: Journalistinnen und Journalisten haben weltweit eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung von Menschenrechten. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zu funktionierenden Demokratien und in Transformationsprozessen. Diese besondere Rolle macht sie jedoch besonders schutzbedürftig.
- Aufnahmeverfahren von verfolgten Journalistinnen und Journalisten laufen derzeit sehr umständlich und langwierig. Bedrohten Medienschaffenden sollte künftig neben dem individuellen Asylverfahren unbürokratisch der Aufenthalt in Deutschland über ein humanitäres Visum und eine Aufenthaltserlaubnis inklusive der Mitnahme beziehungsweise des Nachzugs von Familienangehörigen ermöglicht werden.
- Die finanzielle Situation der in Deutschland sowie in Drittländern ansässigen Exilmedien sollte verbessert werden. Diese tragen durch ihre Arbeit wesentlich zu einer unabhängigen Berichterstattung in ihren Heimatländern bei, wirken vermittelnd auf das dortige Geschehen und schaffen einen freien Zugang zu Informationen. Bislang fördern jedoch deutsche Ministerien und Stiftungen oftmals nur Medien im Land selbst. Die Förderregularien sollten dementsprechend erweitert werden.
Antworten der Parteien
Antworten der Parteien:
CDU/CSU: Die Voraussetzungen und das Verfahren für die Erteilung von sog. Schengen-Visa für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen ist harmonisiert und im EU-Recht geregelt. Maßgeblich ist vor allem der EU-Visakodex, der u. a. die Möglichkeit der Erteilung eines räumlich beschränkten Visums beispielsweise aus humanitären Gründen vorsieht. Die deutschen Auslandsvertretungen prüfen das Vorliegen der Umstände und die rechtlichen Voraussetzungen des Einzelfalls für die Erteilung eines solchen „Ausnahme-Visums“. In seiner Rechtsprechung hat der EuGH bestätigt, dass die geltenden EU-Regelungen darüber hinaus keine „humanitären Visa“ erlauben und insbesondere nicht die Mitgliedstaaten verpflichten, humanitäre Visa zur Zwecke der Asylantragstellung zu erteilen. Im Rahmen der geltenden Rechtslage wird geprüft, welche Unterstützung im Sinne und Interesse des Betroffenen jeweils geleistet werden kann. Einzelfallbezogen umfasst dies auch die Prüfung der Umstände und rechtlichen Voraussetzungen einer humanitären Aufnahme.
SPD: Das Grundrecht auf eine freie Meinungsäußerung sowie die Freiheit der Presse ist für uns nicht verhandelbar. Daher setzt sich die SPD auch in Zukunft weltweit für den Schutz von Journalist:innen, die in ihrer Heimat bedroht und verfolgt werden, ein. Das Auswärtige Amt unter sozialdemokratischer Führung hat sich in den vergangenen Jahren bereits gezielt für die Stärkung der Medien- und Pressefreiheit bzw. den Schutz von Journalist:innen eingesetzt. So ist Deutschland unter anderem Teil der Media Freedom Campaign wie auch der von Reporter ohne Grenzen initiierten „Internationalen Partnerschaft für Information und Demokratie“. Darüber hinaus wollen wir mit entsprechenden entwicklungspolitischen Projekten noch stärker eine Verbesserung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für Medienschaffende in Partnerländern erreichen.
Gleichzeitig ist uns klar, dass Journalist:innen, die aufgrund ihrer wichtigen Arbeit akut bedroht und verfolgt werden, unsere schnelle und unbürokratische Unterstützung benötigen. Staatliche Schutzmechanismen wollen wir deshalb nach Bedarf noch weiter ausbauen bzw. effektiv umsetzen. Dabei ist unter anderem ein Konzept für humanitäre Visa nötig, die eine Antragstellung auf internationalen Schutz in Drittstaaten und eine legale Einreise in das Zielland ermöglichen.
Wir arbeiten zudem darauf hin, dass speziell für die Gruppe von afghanischen Journalist:innen, die nun von den Taliban bedroht werden, gemeinsam mit der Deutschen Welle, Medienverbänden und weiteren internationalen zivilgesellschaftlichen Institutionen ein entsprechendes Programm zur Aufnahme bzw. Unterstützung in Drittländern entwickelt wird. Wir begrüßen, dass das Auswärtige Amt bereits entsprechende Gespräche führt.
Bündnis 90 Die Grünen: Schnelle Visa und Unterstützung für Betroffene staatlicher Repression im Exil sowie Rechtshilfe für verhaftete oder angeklagte Journalist*innen halten wir für unverzichtbar, um die Parteinahme unseres Landes für Medienfreiheit auch gegenüber dem Ausland deutlich zu machen. Die finanzielle Unterstützung von Medien, und seien es Exilmedien, durch staatliche Stellen steht allerdings immer vor der Herausforderung, dabei Staatsferne und Freiheit von politischer Einflussnahme zu gewährleisten.
FDP: Die mutigen Medienschaffenden, die trotz Verfolgung, Unterdrückung oder Zensur von ihrem Menschenrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen, haben unseren höchsten Respekt. Sie müssen weltweit beschützt und Exilmedien unterstützt werden. Wir Freie Demokraten setzen uns für Pressefreiheit weltweit ein – dazu zählen unterschiedliche Maßnahmen, um freie, unabhängige Medien zu fördern. Wir fordern beispielsweise eine verstärkte Förderung von digital bedrohten Medienschaffenden in Form von Weiterbildungen und technischer Unterstützung zur Stärkung der Cybersicherheit. Wir wollen, dass es nach dem Schweizer Vorbild zulässig ist, einen Antrag auf Schutz bei einer deutschen Auslandsvertretung zu stellen und ein humanitäres Visum zu erhalten, wenn im Einzelfall offensichtlich ist, dass Leib und Leben des Antragstellers oder der Antragstellerin unmittelbar, ernsthaft und konkret gefährdet sind. Dies sollte auch für verfolgte Medienschaffende gelten.
Die Linke: Indem wir die Fördermaßnahmen des Auswärtigen Amt oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anpassen. Unabhängige und kritische Berichterstattung geht in Ländern mit eingeschränkter oder gar fehlender Pressefreiheit über reinen Aktivismus hinaus, sondern ist als wichtiger Beitrag in zivilen Friedensprozessen zu werten. Auch dieser Aspekt muss sich in der Konzeption und Etathöhe von Förderregularien angemessen widerspiegeln. Gleichwohl muss auch in Hinblick auf Exilmedien die Förderung staatsfern und z.B. über nichtstaatliche Organisationen erfolgen. In Deutschland lebende Exiljournalistinnen sollten besser in die hiesige Medienlandschaft integriert werden Unterstützung erfahren, denn geflüchtete Journalistinnen tragen zu mehr Diversität bei, eröffnen Zugang zu ihren Netzwerken und berichten aus einer neuen Perspektive.
Aktuell fordert DIE LINKE. über parlamentarische (z.B. Anträge) wie auch außerparlamentarische Instrumente das sofortige Einsetzen von Visa-Nothilfeprogrammen, um u.a. Medienschaffende aus Afghanistan zu evakuieren.
Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in der EU
3. Wie werden Sie sich für die Umsetzung des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus auf EU-Ebene einsetzen? Wie setzen Sie sich dafür ein, dass eine Zusammenarbeit mit notorischen Verletzern der Pressefreiheit, wie beispielsweise Ägypten oder China, an Menschenrechte geknüpft wird?
Hintergrund: Deutschland sollte sich weltweit im Rahmen der Außen- und Wirtschaftspolitik für das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen.
Nicht erst seit dem Beginn der Corona-Pandemie – zuletzt jedoch im Rahmen der Notfallmaßnahmen unübersehbar – rütteln auch europäische Länder an den Grundpfeilern der Rechtsstaatlichkeit. Die 2018 gegen Polen und Ungarn wegen Verletzungen der EU-Grundwerte eröffneten Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge sind bislang das schärfste Mittel, um ein EU-Land unter der Androhung eines Stimmrechteentzugs dazu zu bewegen, rechtsstaatlich umstrittene Entscheidungen zurückzudrehen. Deutschland sollte konsequent für die Meinungsfreiheit innerhalb der EU eintreten und für die Sanktionierung von Mitgliedstaaten, die Grund- und Menschenrechte verletzen. Im letzten Jahr hatten sich Unterhändlerinnen und Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten auf einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus verständigt, der unter anderem bei systematischen Verstößen gegen die gemeinsamen Grundwerte künftig die Kürzung von EU-Geldern ermöglichen soll. Damit der neu eingeführte Rechtsstaatlichkeits-Mechanismus sollten Sanktionen für schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze, insbesondere gegen die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Medien, verhängt werden können.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: CDU und CSU setzen sich für neue Dialogformate zur Rechtsstaatlichkeit und zur konsequenten Ahndung von Verstößen ein – bis hin zur Streichung von EU-Mitteln und dem Entzug des Stimmrechts. Mit uns gibt es keine Kompromisse bei Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundwerten.
Die Menschenrechte gelten universell, sind unteilbar und unveräußerlich. Dem Versuch autoritärer Staaten, diesen Konsens aufzuweichen, treten CDU und CSU entschieden entgegen. Wir wollen den Menschenrechtsmechanismen weltweit Geltung verschaffen und die kritische Lage ethnischer und religiöser Minderheiten verbessern. Hierfür wollen wir ein Bündnis der Demokratien schaffen. Es soll, wo es nötig ist, den Machtwillen von autoritären Regimen mit Stärke und Geschlossenheit entgegentreten. Andererseits wollen wir dort, wo es möglich ist, dennoch eine Zusammenarbeit auf Feldern gemeinsamer Interessen wie z. B. beim Klimaschutz anstreben.
SPD: Mit dem Rechtsstaatsmechanismus haben wir Europa wehrhafter gemacht. Verstöße können nun effektiver sanktioniert werden. Die von der EU-Kommission erarbeiteten Leitlinien sind wichtig für die erstmalige Anwendung der Rechtstaatsmechanismus, denn bei einer möglichen Überprüfung durch den EuGH müssen die – unzweifelhaft vorliegenden – Verstöße und die daraus resultierende Gefährdung der EU-Finanzen gerichtsfest nachgewiesen werden. Die Leitlinien dürfen aber nicht zu einer verzögerten Anwendung führen.
Menschenrechte, und damit auch die Pressefreiheit, sind ein zentrales Element sozialdemokratischer Außenpolitik. Der von uns geforderte und unter deutscher Ratspräsidentschaft ausgehandelte EU-Sanktionsmechanismus erleichtert die politische Ahndung von Menschenrechtsverbrechen. Seither wurden u.a. im Zusammenhang mit dem Fall Nawalny, der Festnahme des Bloggers Roman Protassewitsch, aber auch gegen die Verantwortlichen für die Unterdrückung der Uiguren in China Einreiseverbote verhängt und Gelder eingefroren. Das Auswärtige Amt unterstützt mit gezielter Projektarbeit die Medien- und Pressefreiheit und den Schutz von Journalist*innen und setzt sich für die Schaffung eines/einer UN-Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalist*innen ein. Wir setzen uns zudem dafür ein, dass Präferenzregelungen der EU für Entwicklungs- und Schwellenländern bei schwerwiegenden und systematischen Verstößen gegen Menschenrechtsgrundsätze zurückgenommen werden.
Bündnis 90 Die Grünen: Rechtsstaatlichkeit ist das Fundament der EU. Wir GRÜNE werden uns in den EU-Institutionen zusammen mit anderen Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass bei systematischen Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip spürbare Sanktionen wie das Streichen von EU-Geldern an Regierungen folgen müssen. Das gilt vor allem für den neuen Rechtsstaatsmechanismus zum EU-Haushalt, der im Fall von Polen und Ungarn sofort angewendet werden muss. Kommunen und Regionen sowie NGOs sollen dann direkt von der EU gefördert werden.
Menschenrechtspolitik als Grundlage deutscher Außenpolitik wollen wir ressortübergreifend besser koordinieren und ausbauen. Kooperationen dürfen nicht zu Lasten von Menschenrechten gehen. Medienschaffende bedroht der Export europäischer Überwachungstechnologie in Autokratien und Diktaturen besonders. Deshalb zielen wir auf ein Verbot für die Ausfuhr, den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungsinstrumenten an repressive Regime.
FDP: Wir Freie Demokraten fordern einen effektiven Rechtsstaatsmechanismus in der EU. Die politische Kontrolle der Mitgliedstaaten untereinander im Rahmen des Artikels 7 des Vertrags über die Europäische Union hat sich nicht bewährt. Für uns Freie Demokraten steht fest, dass Länder, die die Grundwerte der EU mit Füßen treten, nicht mit vollen Händen aus EU-Geldern schöpfen sollen. Daher soll bei der neuen Verordnung über die Rechtsstaatskonditionalität bei EU-Strukturfonds vom Dezember 2020 nachgebessert werden und eine Ahndung solcher Verletzungen durch die Kommission für den Entzug von Mitteln ausreichen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wollen wir jedoch direkt unterstützen.
Presse- und Meinungsfreiheit schaffen die Basis für eine freie, offene und demokratische Gesellschaft. Unabhängige Medien und die Gewährleistung der Meinungsfreiheit sind auch eine wichtige Voraussetzung für den Schutz weiterer Menschenrechte, denn nur so können Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Regierungen für Versäumnisse kritisiert und Veränderungen eingefordert werden. Deswegen setzen wir Freie Demokraten uns für Presse- und Meinungsfreiheit weltweit ein und verurteilen regelmäßig Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit, beispielsweise in China, Saudi-Arabien oder Russland. Die Pressefreiheit muss in außenpolitischen Konsultationen zukünftig mehr Priorität einnehmen. Menschenrechtswidrige Eingriffe in die Pressefreiheit müssen in bilateralen diplomatischen Gesprächen thematisiert und auf Schärfste verurteilt sowie in multilateralen Foren mit Nachdruck angesprochen werden.
Die Linke: Der neue Sanktionsmechanismus der EU zielt nur auf Rechtsstaatsverstöße, die die finanziellen Interessen der EU verletzen, und stellt kein grundsätzliches Instrument gegen Rechtsstaatsverletzungen oder Verletzungen der Pressefreiheit dar. Artikel 7 ist als lex specialis einschlägig. DIE LINKE hat sich im Bundestag als einzige Fraktion dafür eingesetzt Artikel 7 mit Mehrheitsbeschluss im Rat anzuwenden.
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
4. Sollten Polizei und Nachrichtendienste Zugriffsmöglichkeiten auf verschlüsselte Messenger- und Kommunikationsdienste erhalten?
Hintergrund: Auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene wird darüber diskutiert, welche Befugnisse Polizeibehörden und Nachrichtendienste erhalten sollen, um Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten und Online-Telefonate über Dienste wie Signal, WhatsApp oder Threema von Verdachtspersonen zu überwachen. Das Bundeskriminalamt und einzelne Landeskriminalämter dürfen seit einigen Jahren zur Ermittlung schwerer Straftaten in Computer und Smartphones eindringen und verschlüsselte Kommunikation überwachen. Im Juni 2021 beschloss der Deutsche Bundestag, allen deutschen Nachrichtendiensten den Einsatz von Staatstrojanern bzw. der sogenannten Quellen-Kommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) zu gestatten. RSF übte scharfe Kritik daran, dass auch Journalistinnen und Journalisten nicht grundsätzlich vor einer solchen digitalen Überwachung geschützt sind. Informantinnen und Informanten müssen darauf vertrauen können, dass ihre Gespräche mit Medienschaffenden vertraulich bleiben. Doch gerade die Arbeit mit Informationen und Quellen, die auch für die Nachrichtendienste interessant sind, setzt Journalistinnen und Journalisten einem hohen Risiko aus, zu Überwachungszielen zu werden.
Auf EU-Ebene beschlossenen die Regierungen der Mitgliedstaaten im vergangenen Dezember, zusätzlich auf direkte Zugriffsmöglichkeiten – Hintertüren – zu verschlüsselten Kommunikationsdiensten hinzuwirken, mithilfe derer Sicherheitsbehörden sehr viel leichter Zugang zu geschützten Nachrichten und Telefonaten erhalten könnten. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und Fachleute aus der Wissenschaft widersprechen der zugrundeliegenden Annahme, Kommunikationsdienste könnten einen wirksamen Schutz privater Nachrichten gewährleisten und zugleich Zugriffsmöglichkeiten für Dritte bereithalten.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: CDU und CSU wollen mit Nachdruck darauf hinwirken, auf europäischer Ebene eine verfassungskonforme, sinnvolle und ausreichende Regelung zur Speicherung und zum Abruf von Verbindungsdaten zu schaffen. Die Speicherpflicht muss außerdem auch auf Telemedienanbieter wie Messenger-Dienste erweitert werden. Der Absender einer Nachricht über Telegram oder den Facebook-Messenger muss ebenso auffindbar sein, wie der einer SMS. Nur so können wir diesen rechtsfreien Raum schließen. Dabei verlieren wir den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht aus dem Blick. Unsere Forderung erstreckt sich nur auf die Speicherung von Verbindungsdaten, Kommunikationsinhalte sind davon nicht betroffen. Wir wollen Straftaten aufklären, die Bürgerinnen und Bürger werden dadurch in keiner Weise ausgeforscht. Die Speicherdauer soll zudem zeitlich begrenzt und der Zugriff der Ermittlungsbehörden darauf nur bei schwerwiegenden Straftaten möglich sein.
SPD: Eine technisch sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist für uns selbstverständlich. Zur Bekämpfung von Extremismus, Terror und schwerster Kriminalität brauchen wir jedoch in der analogen wie der digitalen Welt bestimmte Überwachungsinstrumente. Dazu gehört in bestimmten Fällen auch die so genannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), da auch die genannten Gruppen hauptsächlich über Messengerdienste kommunizieren. Dort, wo in eng begrenzten Fällen zur Verfolgung oder zur Abwehr von schwersten Straftaten Instrumente wie die Quellen-TKÜ notwendig sind, müssen die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten, engen rechtlichen und technischen Absicherungen - auch gerichtlich überprüft - sichergestellt werden. Eine Ausweitung des Zugriffs gespeicherte Inhalte wie bei der Online-Durchsuchung über die bestehenden Regelungen hinaus lehnen wir dagegen ab.
Bündnis 90 Die Grünen: Wir GRÜNE stehen für eine rationale Sicherheits- und Kriminalpolitik, die konkrete Gefahren anlassbezogen und zielgerichtet abwehrt, statt die Bevölkerung mit pauschaler Massenüberwachung unter Generalverdacht zu stellen. Generelle Hintertüren in digitalen Geräten und Anwendungen oder das Infiltrieren von technischen Geräten (Online-Durchsuchung bzw. Quellen-TKÜ) durch Sicherheitsbehörden lehnen wir ab. Hintertüren und das Offenhalten von Schwachstellen schwächt die IT-Sicherheit aller Bürger*innen und ermöglicht die Nutzung (auch) durch Kriminelle. Vielmehr soll eine Verpflichtung eingeführt werden, dass auch Behörden Sicherheitslücken zu melden haben und aktiv auf ihre Behebung hinwirken. Unternehmen dürfen nicht dazu verpflichtet werden, die IT-Sicherheit und Netzintegrität auf Kosten der Allgemeinheit zu gefährden.
FDP: Wir Freie Demokraten setzen uns für ein Recht auf Verschlüsselung ein und fordern eine grundsätzliche Verschlüsselung elektronischer Kommunikation. Jede Einschränkung des Einsatzes von Kryptographie und jede Verpflichtung zum Offenhalten von IT-Sicherheitslücken lehnen wir ab. Bei der Verschlüsselung von Daten und des Netzverkehrs geht es um den Schutz der Privatsphäre, von Betriebsgeheimnissen und der Vertraulichkeit der Kommunikation, das beinhaltet auch einen wirksamen Quellenschutz. Wir Freie Demokraten lehnen außerdem die potentiell lückenlose digitale Überwachung der Menschen durch den Einsatz von „Staatstrojanern“, insbesondere zur nachrichtendienstlichen Aufklärung, ab. Solange nicht sichergestellt ist, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung der Menschen geschützt ist, hat ihr Einsatz zu unterbleiben. Für Quellentelekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und Online-Durchsuchung muss derselbe Maßstab gelten. Statt der Ausnutzung von Sicherheitslücken fordern wir eine Priorität für die IT-Sicherheit und ein klar geregeltes Schwachstellenmanagement. Der Staat darf keine Sicherheitslücken für Ermittlungszwecke aufkaufen.
Die Linke: Nein. Im Juni 2021 haben CDU/CSU und SPD sowohl die Geheimdienste als auch die Bundespolizei zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) ermächtigt. Mit dieser wird ihnen u.a. der Zugriff auf verschlüsselte Messenger- und Kommunikationsdienste möglich. Im Falle der Geheimdienste wurden nicht nur die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, sondern auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) zu einer Quellen-TKÜ in Form einer Online-Durchsuchung Light befugt. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen beiden Überwachungsmaßnahmen ist nach dem Gesetzestext nicht vorgegeben. Im Falle der Bundespolizei soll - das Gesetz liegt durch einen Einspruch des Bundesrates bis auf weiteres auf Eis - der Einsatz von Staatstrojanern zur Quellen-TKÜ nicht nur gegen Personen gerichtet werden, die einer konkreten Straftat verdächtigt sind, sondern auch dann möglich sein, wenn Annahmen bestehen, es könnten Straftaten begangen werden. DIE LINKE hat beide Gesetzesvorhaben als völlig unverhältnismäßig und offenkundig verfassungswidrig abgelehnt und wird dies auch künftig tun.
Überwachungsbefugnisse und Nachrichtendienstkontrolle
5. Wie wollen Sie ein angemessenes Verhältnis zwischen nachrichtendienstlichen Überwachungsbefugnissen einerseits und Ressourcen und Kompetenzen der Kontrollinstanzen andererseits sicherstellen? Welchen Entwicklungsbedarf sehen Sie bei BND- und G-10-Gesetz?
Hintergrund: Der Deutsche Bundestag hat 2021 neue gesetzliche Grundlagen für die Arbeit des BND, des MAD und des Verfassungsschutzes auf Bundes- und Länderebene beschlossen, die weitreichende Befugnisse, z. B. zum versteckten Eindringen in Smartphones und Computer enthalten. RSF kritisiert, dass die Gesetze die Vertraulichkeit journalistischer Kommunikation bedrohen (BND-Gesetz, Verfassungsschutzrecht). Den neuen Überwachungsmöglichkeiten werden zudem unzureichende Möglichkeiten der Kontrolle der Arbeit der Dienste gegenübergestellt.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: CDU und CSU haben in den letzten Jahren durch Anpassungen der rechtlichen Grundlagen der Nachrichtendienste, das Gesamtsystem der Kontrolle über die Nachrichtendienste des Bundes erheblich ausgebaut. Bereits im Jahr 2016 haben wir mit der Schaffung der Position des Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums die parlamentarische Kontrolle deutlich gestärkt. Mit dem Gesetz zur Änderung des BND-Gesetzes, das der Deutsche Bundestag im Frühjahr 2021 beschlossen hat, wurden zum einen die rechtlichen Grundlagen für die technische Aufklärung des BND neu und deutlich präziser als zuvor geregelt. Sie wurden an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts neu ausgerichtet. Es wurde insbesondere der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und bestimmter geschützter Berufsgruppen – insbesondere Journalisten – deutlich gestärkt. Zentraler Bestandteil der Gesetzesreform war die Schaffung eines neuen Kontrollorgans, des „Unabhängigen Kontrollrates“. Damit kontrolliert ein gerichtsähnliches und ein administratives Organ die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes umfassend. Mit dem im Juni 2021 verabschiedeten Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts haben CDU und CSU nicht nur die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes zur Aufklärung terroristischer Netzwerke und extremistischer Einzelpersonen auf den erforderlichen aktuellen Stand gebracht, sondern auch die G10-Kommission personell und hinsichtlich ihrer juristischen Qualifikation gestärkt. Insgesamt haben wir damit für ein angemessenes Verhältnis zwischen nachrichtendienstlichen Befugnissen und den Ressourcen und Kompetenzen der Kontrollinstanzen gesorgt. Dabei ist uns besonders wichtig, dass die Auftragserfüllung der Nachrichtendienste durch die Intensivierung der parlamentarischen, gerichtsähnlichen und administrativen Kontrolle nicht beeinträchtigt wird. Nachrichtendienste sind elementar, um Gefahren für die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger rechtzeitig zu erkennen.
SPD: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir erst in diesem Jahr eine große Reform des BND- und G-10-Gesetzes vorgenommen. Diese gilt es zu evaluieren, um zu sehen, an welchen Stellen Verbesserungsbedarf besteht. Für uns liegt hier der Schwerpunkt auf der Kontrolle der Nachrichtendienste. Wir werden im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung eine „Überwachungsgesamtrechnung" ausgestalten und einführen und damit ein dauerhaftes, regelmäßiges und unabhängiges Monitoring der Gesetze im Sicherheitsbereich schaffen.
Bündnis 90 Die Grünen: Ein funktionierender, demokratischer Rechtsstaat muss Sicherheit gewährleisten und die ihn konstituierenden Freiheitsrechte wahren. Sicherheitsgesetze wie das BND-Gesetz und das G-10 Gesetz müssen auf den Prüfstand, zukünftig auf valider Empirie beruhen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit regelmäßig unabhängig evaluiert werden, auch anhand einer Überwachungsgesamtrechnung. Verfassungsrechtlich fragwürdige Befugniserweiterungen zur Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung und staatlichem Hacking, unkontrollierbare Eignungsprüfungen und unklare Filtersysteme erweisen den Nachrichtendiensten einen Bärendienst, weil sie das Vertrauen in ihr legitimes Handeln schwächen. Wir GRÜNE wollen die Kontrolle der Nachrichtendienste auf allen Ebenen verbessern und ausbauen, personell und finanziell stärken, transparenter gestalten und besser vernetzen. Eine Erhöhung der Budgets der Nachrichtendienste sollte immer auch eine entsprechende Erhöhung der Budgets der Kontrollorgane nach sich ziehen.
FDP: Die Fraktion der Freien Demokraten hat mit ihrem Antrag "Reform der Nachrichtendienste – Lehren aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BND-Gesetz" (BT-Drs. 19/19509) und dem "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste" (BT-Drs. 19/19502) bereits wenige Tage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umfassende Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir Freie Demokraten fordern eine umfassende Neuordnung der Kontrolle der Nachrichtendienste nach einem Drei-Säulen-Modell, das sowohl die Überwachung nach dem BND-Gesetz also auch dem G-10-Gesetz umfasst, da wir in der Zersplitterung der Aufsicht einen großen Schwachpunkt sehen: Die Genehmigung der Überwachung und die Gesetzmäßigkeitskontrolle der Nachrichtendienste soll in richterlicher Unabhängigkeit erfolgen. Die parlamentarische Kontrolle soll verbessert und die Rechte der Parlamentsminderheit sollen gestärkt werden. Eine Parlamentarische Nachrichtendienstbeauftragte oder ein -beauftragter soll dabei unterstützen, die Nachrichtendienste zu kontrollieren, und auch Einblick in sensible Informationen anderer Dienste erhalten können. Bei den Rechtsgrundlagen der Kommunikationsüberwachung durch die Nachrichtendienste sollte berücksichtigt werden, dass sich die verschiedenen Kommunikationsverkehre nicht mehr auseinanderhalten lassen. Weil der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel für die Betroffenen einen massiven Eingriff in ihre Grundrechte darstellt, ist den betroffenen Personen sowie den Telekommunikationsunternehmen effektiver Rechtsschutz zu gewähren und eine praktisch wirksame Klagebefugnis gegen Überwachungsmaßnahmen einzuräumen. Eine Überwachung im Inland und in einem anderen EU-Mitgliedstaat muss den Betroffenen nach Abschluss der Maßnahmen mitgeteilt werden. Schon vor einer Entscheidung ist eine Betroffenenanwältin oder ein -anwalt anzuhören, die oder der die Rechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger vertritt.
Die Linke: Insgesamt sieben Organe sind in unterschiedlichem Maße in Kontrolltätigkeiten über die deutschen Geheimdienste, hier nur auf Bundesebene betrachtet, eingebunden (PKGr, die G10-Kommission, Vertrauensgremium des Bundestags, der Bundesrechnungshof sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte. Ein solche Fragmentierung des Aufsichtsrahmens ist dysfunktional und führt zu realen Kontrolllücken. Die bestehenden Kontrollstrukturen halten mit der forcierten Entwicklung immer neuer Überwachungstechnologien nicht Schritt. Neben rechtlichen Befugnissen fehlt es an entsprechend leistungsfähigen Werkzeugen und technischem Fachwissen, um moderne Methoden der Datenanalyse, der Datenfilterung, der Mustererkennung und des Datenaustausches zu verstehen und gezielt kontrollieren zu können. Einige Länder haben daher in ihrem Rechtsrahmen den Weg hin zu einem direkten und unmittelbaren Zugang der Aufsichtsgremien zu allen nachrichtendienstbasierten Informationsverarbeitungsstufen und Datenarten eingeschlagen. Das wäre auch in Deutschland notwendig, bspw. für die Mitglieder des PKGr oder von diesen benannten technischen Sachverständigen. Schließlich sei noch auf eine weitere Diskrepanz in der Kontrolle des deutschen Auslandsgeheimdienst hingewiesen: Mit dem neu gegründeten Unabhängigen Kontrollrat wird künftig die Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND intensiver überwacht als die nach den Grundrechtsmaßstäben des Bundesverfassungsgerichts eingriffsintensivere, durch die G10-Kommission kontrollierte Überwachung der internationalen Kommunikation (Inland-Ausland-Telekommunikation). Die G10-Kommission, eine weitere bedeutsame Baustelle im deutschen Nachrichtendienstrecht, erreicht somit weder personell noch materiell das sehr begrenzte Maß an Aufsichtsbefugnissen, das jetzt für den Unabhängigen Kontrollrat zur Verfügung stehen soll. DIE LINKE wirbt auch aus diesen Gründen für parlamentarische Mehrheiten und internationale kollektive Verhandlungssysteme, die den Aufgabenbereichen der Auslandsgeheimdienste klare Grenzen setzen und - zu Ende gedacht - diese grundsätzlich überflüssig machen.
Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie
6. Wie wollen Sie die EU-Whistleblowing-Richtlinie ins nationale Recht umsetzen, um Hinweisgeber*innen als wichtige journalistische Quellen umfassend zu schützen?
Hintergrund: Journalistische Quellen und Hinweisgebende müssen besser geschützt und Rechtsunsicherheiten ausgeräumt werden. Eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern fehlt in Deutschland jedoch nach wie vor. Die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, wurde im Oktober 2019 von den Mitgliedstaaten verabschiedet. Nun muss die Bundesrepublik sie bis Dezember 2021 in deutsches Recht umsetzen. Die EU-Whistleblowing-Richtlinie sollte so umgesetzt werden, dass sie eine umfassende Rechtssicherheit für Whistleblowerinnen und Whistleblower schafft und darüber hinaus freie Meinungsäußerung und investigativen Journalismus ermöglicht. Mit diesem Ziel sollte öffentliches Whistleblowing - die direkte Weiterleitung von Informationen an Medien oder die Öffentlichkeit - unter Umständen geschützt werden. Verschlusssachen sollten nicht pauschal ausgenommen und digitaler Quellenschutz auch auf Whistleblowerinnen und Whistleblower angewendet werden.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: Bei der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie wollen CDU und CSU dafür Sorge tragen, dass Unternehmen, die aufgrund der Corona-Pandemie um ihre Existenz kämpfen, keine unnötigen Bürokratielasten aufgebürdet bekommen. Um nicht Tausende von Arbeitsplätzen zu gefährden, wollen wir nicht über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehen. Wir streben eine Lösung an, die einen besseren Schutz von Hinweisgebern und die berechtigten Interessen der Unternehmen in Einklang bringt.
SPD: Der Schutz von Hinweisgeber*innen hat für die SPD höchste Priorität. Ohne den Mut der Hinweisgeber*innen wären viele Skandale der letzten Jahre nicht aufgedeckt worden.
Die EU-Hinweisgeberschutz-Richtlinie muss bis zum 17. Dezember 2021 in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Aufgrund der begrenzten Regelungskompetenz der EU enthält sie nur Meldungen von Verstößen gegen bestimmte EU-Rechtsakte. Eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auch auf nationales Recht ist aber in der Richtlinie angelegt.
Wir haben uns bereits in dieser Legislaturperiode dafür eingesetzt, über eine 1:1 Umsetzung hinaus den Anwendungsbereich auch auf nationales Recht zu erweitern. Dies haben die Unionsfraktionen zu unserem Bedauern blockiert. Um einen effektiven und lückenlosen Hinweisgeberschutz zu gewährleisten halten wir einen weiten Anwendungsbereich für essentiell. Viele aktuelle Fälle, beispielsweise in der Fleischindustrie, würden ansonsten nicht unter den Hinweisgeberschutz fallen. Wir sehen in einem umfassenden Hinweisgeberschutz auch keine nennenswerte Belastung für die Wirtschaft, da ohnehin interne Meldestellen eingerichtet werden müssen. Vielmehr sehen wir die immensen Vorteile, wenn Rechtsverstöße aufgedeckt werden.
Bündnis 90 Die Grünen: Die geltende EU-Whistleblowing-Richtlinie muss bis zum 17.12.2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Es liegt zwar seit 2020 ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor - die CDU/CSU hat aber dessen Beschlussfassung in der Bundesregierung und damit auch die Einbringung in das parlamentarische Verfahren blockiert. Wir GRÜNE fordern ein Hinweisgeberschutzgesetz, das die Richtlinie ambitioniert und umfassend auch mit Wirkung für das gesamte nationale Recht umsetzt. Wegen der Verwobenheit von nationalem und EU-Recht wäre eine Beschränkung auf Hinweise zu Verstößen gegen EU-Recht grob sachwidrig und würde zugleich zu einer Ungleichbehandlung von Hinweisgeber*innen führen können, je nachdem ob sie einen Verstoß gegen nationales oder gegen EU-Recht melden. Wir fordern zudem einen Entschädigungsfonds, mit dem das persönliche Risiko minimiert wird. Die Furcht vor einem ökonomischen und persönlichen Schaden soll so abgebaut und potenzielle Hinweisgeber*innen sollen ermutigt werden.
FDP: Wir Freie Demokraten fordern die umgehende Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie in nationales Recht. Whistleblowerinnen und Whistleblower sollten nicht arbeits-, personal- oder strafrechtlich belangt werden, wenn sie Straftaten oder rechtswidriges Verhalten offenbaren. Voraussetzung ist, dass sie vorher den Dienstweg ausgeschöpft haben oder dieser unzumutbar war. Whistleblowerinnen sollen auch vor der Strafverfolgung durch ausländische Staaten geschützt werden.
Die Linke: Zu den gesetzgeberischen Initiativen zur Stärkung der Pressefreiheit gehört zentral das Whistleblower*innen-Schutzgesetz, das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht und in diesem Jahr umgesetzt werden muss. Wir wollen, dass bei der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, im Zuge eines Whistleblower*innen Schutzgesetzes auch diejenigen geschützt werden, die Verstöße gegen nationales Recht melden. Was den Straftatbestand "Datenhehlerei" (§ 202d StGB) betrifft, so soll dieser so gefasst werden, dass Whistleblower*innen und investigative Journalist*innen sowie Personen, die bei Recherchen unterstützen, umfassend geschützt werden und das Beschlagnahmeverbot aus § 97 StPO für diesen Personenkreis vollumfänglich gewährleistet wird. Zudem wollen wir, dass die Novelle des BND-Gesetzes zurückgezogen wird und für den Schutz der Vertraulichkeitsbeziehungen von Journalist*innen die Ausnahmetatbestände auf sämtliche Datenerhebungen (inklusive Verkehrsdaten) ausgeweitet werden. Entsprechende Maßnahmen müssen dokumentiert und grundrechtskonform abgewogen werden.
Informationsfreiheitsgesetz/Auskunftsrechte
7. Setzen Sie sich dafür ein, das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln, das Bundesbehörden verpflichten würde, den Bürger*innen Informationen von sich aus zur Verfügung zu stellen? Welchen Reformbedarf sehen Sie beim Auskunftsanspruch der Medien?
Hintergrund: 2006 wurde auf Bundesebene das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) eingeführt, nachdem jede und jeder Zugang zu behördlichen Informationen beantragen kann (Ausnahmen bestehen jedoch z. B. für die Nachrichtendienste). In den Bundesländern gelten dagegen sehr unterschiedliche Auskunftsansprüche, von Bayern, Sachsen und Niedersachsen, wo es noch keine Informationsfreiheitsgesetze gibt, bis hin zu Hamburg, das mit seinem Transparenzgesetz bereits seit 2012 amtliche Informationen nicht nur auf Anfrage herausgibt, sondern proaktiv veröffentlicht. Dazu zählen z. B. Senatsbeschlüsse und Verträge, an denen ein öffentliches Interesse besteht.
Stärkere Auskunftsrechte der Medien gegenüber Bundesbehörden standen zwar im Koalitionsvertrag von 2018, CDU und CSU lehnten einen entsprechenden Entwurf der SPD im 2019 allerdings ab. Seitdem hat sich in diesem Bereich nichts getan. Näheres zum Thema in der aktuellen Nahaufnahme Deutschland von Reporter ohne Grenzen.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: Die Behörden des Bundes sind bereits nach § 11 IFG gehalten, geeignete Informationen in elektronischer Form allgemein zugänglich zu machen. Zudem werden auf Grundlage des Open Data Gesetzes, mit dem im E-Goverment-Gesetz (EGovG) eine Rechtsgrundlage für Open Data geschaffen wurde, weitere behördliche Daten proaktiv der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus haben wir uns mit der Teilnahme an der Open Government Partnership zu Offenheit und Transparenz im Regierungshandeln bekannt.
SPD: Die SPD setzt sich für eine Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsrechts zur einem Transparenzrecht ein und hat hierzu bereits im Jahr 2013 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir wollen, dass die gegenwärtig nebeneinander bestehenden Informationsfreiheitsgesetze zusammengeführt und zu einem Transparenzgesetz weiterentwickelt werden. Die Daten der öffentlichen Verwaltung sollen der Bevölkerung grundsätzlich kostenfrei zur Verfügung stehen, wenn keine gewichtigen Gründe dagegen sprechen. Diese Ausnahmetatbestände müssen eng begrenzt und begründet werden.
Vor Kurzem hat der Deutsche Bundestag das Zweite Open Data Gesetz und Datennutzungsgesetz beschlossen, mit dem wir diesem Ziel ein Stück näherkommen. Gerade aber was die Weiterentwicklung zu einem Transparenzrecht und einen wirklichen Rechtsanspruch anbelangt, gibt es noch Verbesserungsbedarf in der nächsten Legislaturperiode.
Wir wollen Rechtssicherheit für Journalist*innen und einen gesetzlich verankerten Auskunftsanspruch, damit die Medien ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können. In einem Gesetz zur Informationspflicht von Behörden des Bundes gegenüber den Medien (Medieninformationszugangs- und -auskunftsgesetz) wollen wir regeln, dass Bundesbehörden Vertreterinnen und Vertretern der Presse und des Rundfunks zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe Informationen erteilen müssen, soweit dem keine Geheimhaltungsvorschriften entgegenstehen. Dabei sollen die Behörden nicht nur auskunftspflichtig sein, sondern sollen die bei ihnen vorhandenen Informationen zur Verfügung stellen.
Bündnis 90 Die Grünen: Staatliches Handeln muss transparenter werden. Wir GRÜNE wollen das veraltete Informationsfreiheitsgesetz modernisieren, bestehende Gesetze zusammenführen und ein neues „Bundes-Transparenz-Gesetz“ schaffen. Mit diesem Gesetz sollen die bestehenden Auskunftsansprüche erweitert, verschiedene Bundes-Informationsfreiheitsrechte zusammengeführt und die Prinzipien von Open Data gesetzlich wirksam verankert werden. In einem parlamentarischen Antrag haben wir dem Bundestag unsere Forderung detailliert vorgelegt, die große Koalition hat ihn leider abgelehnt. Mit neuen Mehrheiten im nächsten Bundestag erhoffen wir uns neue Chancen.
Um die Auskunftsrechte von Journalist*innen zu stärken, wollen wir ein Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene verabschieden, damit die seit 2013 durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entstandene Gesetzeslücke geschlossen wird. Mit einem Bundes-Presseauskunftsgesetz sollen Medien wieder einen gesetzlichen Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden und Bundesministerien bekommen.
FDP: Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag hat ein Konzept eingebracht, wie das Informationsfreiheitsgesetz zu einem echten Bundestransparenzgesetz nach Vorbild des Hamburger Transparenzgesetzes weiterentwickelt werden kann (vgl. BT-Drs. 19/ 27814). Nicht-unternehmensbezogene und nicht-personenbezogene Daten der Verwaltung sollen im Rahmen einer Veröffentlichungspflicht in maschinenlesbarer Form frei zugänglich gemacht werden. Zusätzlich fordern wir die Verankerung eines echten Rechtsanspruchs auf Datenzugang, sofern die Daten die im Bundestransparenzgesetz festgelegten Kriterien erfüllen.
Aktuell muss für Presseauskünfte gegenüber Bundesbehörden mangels einer einfachgesetzlichen Regelung direkter Rückgriff auf die Pressefreiheit des Grundgesetzes genommen werden. Gegenüber den bestehenden Pressegesetzen auf Landesebene, die Auskunftsrechte gegenüber Landesbehörden normieren, stellt das einen nicht hinzunehmenden Minimalzustand dar. Wir Freie Demokraten fordern deshalb ein Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene, mit dem ein Presseauskunftsrecht gegenüber Bundesbehörden etabliert wird, welches ein vergleichbares inhaltliches und rechtliches Niveau wie die bestehenden Landespressegesetze bietet (vgl. BT-Drs. 19/6054).
Die Linke: Ja. DIE LINKE will das Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparenzgesetz ausbauen. Mit öffentlichen Mitteln erstellte Informationen müssen im Sinne von Open Data kostenlos öffentlich zugänglich sein. Daten, die demokratische Kontrolle ermöglichen, wie Verträge für steuerfinanzierte Aufträge, Plenarprotokolle und Dokumente, sollten maschinenlesbar und mit offenen Schnittstellen automatisiert abrufbar sein. Im Rahmen kommerzieller SmartCity-Projekte gesammelte Daten müssen der Allgemeinheit kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Wir setzen uns für die Stärkung journalistischer Informationsansprüche gegenüber Behörden ein. Wir fordern geschützte Kommunikation insbesondere für Pressevertreter*innen sowie gesetzlichen Schutz von Whistleblowern. Die Ausnahmeregelungen für Geheimdienste aus den Informationsfreiheitsgesetz und dem Archivgesetz müssen gestrichen werden. Presseberichterstattung darf nicht zur Strafverfolgung führen. Wir fordern einen regelmäßigen Bericht der Bundesregierung über den Stand der Pressefreiheit. Ein solcher Pressefreiheitsbericht sollte ebenfalls die ökonomischen Konzentrationsprozesse und ihre Auswirkungen auf Pressefreiheit und -vielfalt analysieren.
Umgang mit Hassrede im Netz
8. Wie können Medienschaffende und andere besonders von Hass im Netz betroffene Personen besser geschützt werden, ohne die Meinungs- und Informationsfreiheit und den Datenschutz einzuschränken?
Hintergrund: Medienschaffende, insbesondere Journalistinnen, Personen mit Migrationshintergrund und Medienschaffende, die zu Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung recherchieren, werden besonders häufig im Netz beleidigt und bedroht. Viele Betroffene klagen über mangelnde Schutzangebote und fordern eine effektivere Strafverfolgung. Zugleich dürfen staatliche Bemühungen um die schnelle Löschung illegaler Beiträge und bessere Auskunftsprozesse großer Plattformen gegenüber Ermittlungsbehörden nicht zu unverhältnismäßigen Einschränkungen der Meinungsfreiheit (Overblocking) und des Schutzes der Daten der Nutzerinnen und Nutzer führen. Diese Kritik äußerten RSF und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen in Bezug auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und das 2021 beschlossene Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Reporter ohne Grenzen setzt sich auch auf europäischer Ebene für einen Rechtsrahmen ein, der eine starke unabhängige Aufsicht vorsieht, Gerichte stärker einbindet und Nutzerinnen und Nutzer wirksame Widerspruchsrechte einräumt. Zudem müssten große Online-Plattformen in die Pflicht genommen werden, ihre Auswirkungen auf Grund- und Menschenrechte unabhängig überprüfen zu lassen und schädliche Strukturen umzubauen.
Antworten der Parteien
CDU/CSU: Soziale Medien sind wichtige Plattformen für den gesamtgesellschaftlichen Meinungsaustausch und für die demokratische Willensbildung. Hass und Hetze, aber auch Lügen und Propaganda, sind nicht von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit geschützt und müssen daher konsequent und schnell entfernt werden. Das Netzwerkdurchsuchungsgesetz hat sich hierbei bewährt und soll von Deutschland aus europäisch weiterentwickelt werden. Als Beschwerdeinstanz und für schwierige Fälle soll möglichst ein plural besetztes Gremium der regulierten Selbstregulierung eingerichtet werden, das weder Weisungen staatlicher Stellen, noch der betroffenen Unternehmen unterliegt.
SPD: Um effektiver gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen und Betroffene besser zu schützen haben wir kürzlich das NetzDG weiterentwickelt und hier insbesondere die Meldewege für Betroffene vereinfacht und vereinheitlicht und Forscher*innen Zugang zu Daten der Netzwerke eingeräumt. Folgende weitere Maßnahmen wollen wir noch umsetzen:
· schnelle und zentrale Meldestellen und Hotlines bei den Ländern – verbunden mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Betroffene
· schnelle und effektive Schwerpunktstaatsanwaltschaften · technisch und personell gut ausgestatte Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden, die auch in milieutypischen Gepflogenheiten und Vokabular geschult sind
· „digitale“ Ausbildung für Polizei und Strafverfolgung
· verstärkter Einsatz „klassischer“ Ermittlungsarbeit: verdeckte Ermittler in rechten Gruppen und Netzwerken, auch in geschlossenen Gruppen (z.B. WhatsApp-Gruppen), massiv verstärkte „Polizeistreifen“ im Netz, Beobachtung öffentlich zugänglicher Foren und Plattformen (auch BSI - etwa von bekannten rechten Plattformen oder Doxing-Plattformen)
· Anpassungen im Melderecht, Möglichkeiten von Adresssperrungen verbessern
· zivilrechtliche Instrumente schärfen, damit Betroffene sich besser wehren können.
Damit die Meinungs- und Informationsfreiheit nicht im Kampf gegen Hass im Netz eingeschränkt wird und Kollateralschäden vermieden werden, lehnen wir eine Klarnamenpflicht entschieden ab. Stattdessen prüfen wir weniger eingriffsintensive Mittel wie die sogenannte Login-Falle oder eine „Digitales Gewaltschutzgesetz“ (gerichtliches Verfahren zur Beantragung von Accountsperren).
Auch die Impressumspflicht, die ein Mindestmaß an Transparenz und Information im Internet sicherstellen soll sollte angepasst werden. Wir sind hierzu im Austausch mit Journalistenverbänden und der Rechtswissenschaft und suchen eine Lösung, die dieses Mindestmaß an Transparenz und die Erreichbarkeit sicherstellt, und gleichzeitig verhindert, dass u.a. Journalist*innen ihre Privatanschrift angeben müssen, wenn Büro- und Privatanschrift identisch sind.
Bündnis 90 Die Grünen: Wir GRÜNE fordern eine Gesamtstrategie gegen Hass und Hetze. Dazu gehört neben einer grundlegenden NetzDG-Reform auch Prävention und Schutz von Betroffenen endlich auszubauen. Die Meldewege für Beschwerden müssen für Nutzer*innen deutlich einfacher werden. Die Berichte der Social Media-Betreiber über Beschwerden müssen einheitlich und vergleichbar werden. Social Media-Betreiber müssen gegen den missbräuchlichen Einsatz von Social Bots und Fake-Profilen aktiv werden und diese kennzeichnen. Und die Plattformen müssen datenschutzkonform und effektiv Daten für Forschung zur Verfügung stellen, um weitere Erkenntnisse über die Verbreitung von Hass, Hetze und Desinformation zu gewinnen.
Darüber hinaus begrüßen wir, dass der jüngste Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung die Schaffung gemeinwohlorientierter und kooperativer Medienplattformen anregt, deren Selektions- und Empfehlungsmechanismen nach anderen Kriterien, als dem der Maximierung von Nutzer*innen-Interaktion optimiert werden könnten.
FDP: Angesichts einer zunehmenden Anzahl von Straftaten und Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz, sehen wir den Staat in der Pflicht, konsequenter zu handeln. Den Schutz von Persönlichkeitsrechten sicherzustellen und gleichzeitig Meinungsfreiheit zu gewährleisten, ist primär staatliche Aufgabe. Deshalb wollen wir Freie Demokraten das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) abschaffen und durch einen Regulierungsmix ersetzen, der den Schutz der Meinungsfreiheit in vollem Umfang gewährleistet. Wir setzen uns für eine effektivere Verfolgung von Straftaten im Netz ein. Zusätzlich wollen wir auch Opfer von Straftaten im Internet in die Lage versetzen, sich zu wehren, indem sie – wie im Urheberrecht – einen Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider erhalten. Bleibt die Täterin oder der Täter anonym und reagiert nicht auf eine Kontaktaufnahme, sollte auch eine Sperrung des Accounts in Betracht kommen. Soziale Netzwerke sollen zudem umfassend zuständige Zustellungsbevollmächtigte im Inland benennen müssen, damit eine reibungslose Zusammenarbeit gewährleistet ist.
Die Linke: Digitale Gewalt im Netz muss juristisch anerkannt und verfolgt werden. Dazu muss auch Kompetenz in den Strafverfolgungsbehörden aufgebaut werden. Das betrifft besonders digitale Gewalt gegen Frauen, Kinder/Jugendliche und Angehörige von Minderheiten. Die Impressumspflicht wollen wir überarbeiten, um die Privatsphäre von Websitebetreiber*innen zu sichern. Das Fernmeldegeheimnis und der Schutz gespeicherter Daten muss auch für Jugendliche gelten: Eltern dürfen sich zu offensichtlich geschützten Daten keinen Zugang verschaffen. Apps zur Überwachung beispielsweise des Standorts lehnen wir ab.
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