07.05.2019

"Ich möchte Teil der Friedensförderung sein"

Ein Porträt unserer neuen Stipendiatin, der Journalistin Reham Owda

© ROG

Vor zwei Monaten kam die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Reham Owda auf Einladung von Reporter ohne Grenzen nach Berlin, um hier ein Stipendium anzutreten, das ihr eine Auszeit von den permanenten Konflikten in ihrer Heimat, dem Gazastreifen, bieten soll. Mit uns redete sie über ihre Arbeit als Journalistin, ihre Kindheit in Gaza und ihre Erlebnisse in Europa.

Als Reham Owda vor kurzem von Berlin nach Prag reiste, wurde sie das erste Mal in ihrem Leben an einer Staatsgrenze keiner Befragung unterzogen. „Sie haben nur kurz auf meinen Reisepass geschaut und mich dann passieren lassen – für mich war das ein Gefühl von Freiheit“, erzählt die palästinensische Journalistin. Die Reise von Palästina nach Deutschland verlief wesentlich komplizierter: Nachdem Israel ihr ein Visum verweigert hatte, musste sie von Kairo aus fliegen. Dabei handelte es sich um einen 14-stündigen Landweg, der unter anderem durch die Konfliktzone auf der Halbinsel Sinai führt. Reham nahm die Strapazen in Kauf, um in Berlin das Auszeit-Stipendium von Reporter ohne Grenzen und der taz Panter Stiftung antreten zu können – ein Programm, das Journalisten und Journalistinnen aus Kriegs- und Krisengebieten erlaubt, für den Zeitraum von drei Monaten Ruhe und Zuflucht zu finden: „Wo ich wohne gibt es permanent Konflikte und Probleme. Diese Zeit hier in Deutschland bietet mir Entspannung und die Möglichkeit, den Krieg wenigstens temporär zu vergessen.“

Für gewaltfreie Lösungen

Reham wurde im Gazastreifen geboren, einer Gegend, die laut eines 2017 erschienenen UN-Berichts schon ab dem kommenden Jahr nicht mehr bewohnbar sein könnte. Durch anhaltende Konflikte verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage zunehmend, das Trinkwasser wird knapp und bis 2020 wird die Arbeitslosenrate schätzungsweise auf über 44 Prozent steigen. Das Gesundheitssystem ist quasi zusammengebrochen. Die Isolation von Seiten Israels und Ägyptens sowie die autoritäre Regierung der Hamas haben verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen, in dem fast zwei Millionen Menschen wohnen. In mitten des unlösbar scheinenden Konflikts zwischen Israel und Palästina möchte Reham Lösungen finden. Die studierte Politikwissenschaftlerin begann erst 2011, Artikel über die Situation im Nahen Osten auf ihrem eigenen Blog zu veröffentlichen: „Ich wollte meine Stimme erheben und auf die Situation in Palästina aufmerksam machen. Das Schreiben war für mich ein Werkzeug, um für gewaltfreie Lösungen zu werben.“ Dabei stellt sie klare Forderungen an beide Konfliktparteien:  Von den politischen Kräften in Palästina wünscht sie sich die Akzeptanz demokratischer Wahlen, die israelische Regierung hingegen soll den Siedlungsausbau im Westjordanland stoppen. Rehams Blick wird sehr bestimmt, wenn sie von ihren persönlichen Überzeugungen spricht: „Ich habe niemals etwas Antisemitisches geschrieben. Ich respektiere alle Religionen. Ich sehe mich selbst nicht nur als Palästinenserin, sondern vor allem als Weltbürgerin.“

Alltag während der Intifada

Wie vereinbart man das journalistische Schreiben über einen derart aufgeladenen Konflikt mit dem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit? Reham hat sich selbst rote Linien gesetzt. „Erstens beleidige oder attackiere niemanden, keine politische Bewegung, keinen Staat, niemanden. Ich versuche, meine Kritik diplomatisch und konstruktiv zu formulieren. Das bietet mir Schutz. Zweitens schreibe ich nichts Emotionales. Ich bleibe immer analytisch – denn sobald ich emotional werde, kann ich mich nicht mehr kontrollieren und würde negative Gefühle äußern. Drittens achte ich darauf, keine Geheimnisse zu haben, mit denen man mich erpressen könnte.“ Ihre politische Unabhängigkeit ist Reham sehr wichtig, denn diese sichert ihr den Respekt verschiedener Konfliktparteien zu. Bis heute hat sie keine einzige Drohung erhalten – sogar die Hamas akzeptiert ihre journalistische Arbeit stillschweigend.

Reham kennt die Gefahr, die im Gazastreifen längst Alltag geworden ist, nur zu gut. Als die erste Intifada 1987 ausbrach, war Reham neun Jahre alt. „Ich habe meine gesamte Kindheit zuhause verbracht. Während der Intifada gab es eine Ausgangssperre – um spätestens 22 Uhr musste man Zuhause sein. Es gab keine Parks, keine Gärten, nichts. Also pendelte ich nur zwischen dem Haus meiner Eltern und der Schule, aber diese wurde oft wegen Streiks geschlossen. Auf dem Schulweg musste ich an den israelischen Soldaten vorbei, das machte mir Angst. Wenn andere Kinder mit Steinen nach den Soldaten warfen, rannte ich schnell weg, um nicht in eine Schießerei zu geraten. Ich habe sehr viele dramatische Dinge gesehen während meiner Kindheit – Menschen, die festgenommen wurden, Menschen, die getötet wurden. Es war wirklich schwierig für mich.“

„Ich möchte Teil der Friedensförderung sein“

Noch immer lebt Reham auf einem Pulverfass, besonders durch ihre Arbeit als Journalistin. 2018 wurden während der Proteste an der israelischen Grenze zwei palästinensische Journalisten getötet, auf zwanzig weitere wurde gezielt geschossen. Die palästinensischen Gebiete befinden sich auf Platz 137 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit. Rehams Familie ist sich der Gefahrensituation für Medienschaffende bewusst. „Ich habe aber das Glück, dass meine Familie liberal eingestellt ist. Für Frauen aus religiöseren Familien ist es deutlich schwerer, ihren Beruf als Journalistin auszuüben, zum Beispiel, wenn sie abends und nachts alleine auf die Straße gehen möchten. Allgemein wird dir als Frau nahegelegt, lieber nicht als Kriegsreporterin zu arbeiten, sondern dich auf soziale Themen zu fokussieren.“

Trotz aller Probleme und Konflikte, die mit Rehams Heimat verbunden sind, möchte sie zurückkehren – um nah bei ihrer Familie zu sein und um etwas zu bewegen: „Für mich ist es wichtig, zurückzugehen, weil ich Teil der Friedensförderung sein möchte. Hier habe ich erfahren, wie sich Freiheit und Demokratie anfühlt. Das möchte ich nach Gaza tragen.“

 

Aufzeichnung: Louise Kaufmann

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