Journalismus als persönliches Risiko
Für jeden Journalisten gibt es berufliche Schlüsselmomente. Für mich liegen sie in den ersten Jahren meines Berufslebens, als ich in Südafrika bei der englischsprachigen Zeitung Natal Witness arbeitete. Es waren die letzten Jahre der Apartheid-Regierung Anfang der 1990er Jahre, und die Zeitung in der Kleinstadt Pietermaritzburg galt landesweit als progressiv, weil sie ihrem Hauptblatt die Beilage Echo für die schwarze Bevölkerung zufügte. Darin schrieben schwarze Journalisten, teilweise auch in ihrer Muttersprache Zulu, für die Bewohner der umliegenden Townships. Aber sie trugen auch zur Berichterstattung des Hauptblattes bei, in dem sie Kommentare schrieben und in ihren Artikeln die Lage in den Vororten vermittelten.
Meine Echo-Kollegen waren aufrechte, hochpolitische Journalistinnen und Journalisten, die sich der sauberen Recherche und der Aufdeckung von Missständen verpflichtet sahen. Dabei scheuten sie Tabuthemen wie die sexualisierte Gewalt in den Familien ebenso wenig wie den Versuch, über Aids zu informieren. Das HI-Virus begann sich damals – auch, weil verlässliche Informationen fehlten – in Südafrika dramatisch auszubreiten. Stundenlang saß die Redaktion zusammen, um politische Cartoons zu entwickeln, die auch die vielen Analphabeten in der Bevölkerung aufklären sollten. Es war ein beeindruckendes Engagement.
Damals tobten in den Townships der Provinz Natal erbitterte Kämpfe zwischen Kämpfern des oppositionellen Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der Inkatha-Bewegung. Deren Führer Mangosuthu Buthelezi wurde vom Apartheid-Regime und reaktionären Kreisen im Ausland bewusst gefördert, um in der schwarzen Bevölkerung eine konservative Alternative zum ANC-Führer Nelson Mandela aufzubauen, die mit der Apartheitregierung kollaborierte. In deutschen Medien wurde dieser politische Machtkampf damals fälschlicherweise als Konflikt vermeintlich rivalisierender Stammesgruppen der Zulu und Xhosa dargestellt. Dabei leben in Natal fast ausschließlich Zulu – aber dieser Verzicht auf politische Analyse fügte sich leicht in die verbreiteten Afrika-Klischees.
Mitten im Geschehen und permanent bedroht
In den Townships litten die Einwohner unter der politischen Gewalt, die damals den Alltag bestimmte. Ich fuhr häufig mit den Echo-Kollegen mit, wenn sie am Morgen nach einer mörderischen Nacht akribisch die Toten zählten und rund um die abgebrannten Häuser die Bewohner befragten. Als junger Journalistin brannten sich mir diese Bilder sinnloser Zerstörung ein, der beißende Brandgeruch, die weinenden Menschen, das Klima der Einschüchterung. In all dieser Verzweiflung bestach die ruhige, bedachte Art meiner Kollegen, nüchterne Fragen zu stellen und ihre journalistische Arbeit zu tun.
Sie genossen in den Townships unter den Bewohnern sichtbar hohes Ansehen und Vertrauen. Gleichzeitig waren ihre eigenen Leben und die ihrer Familien permanent bedroht. Denn anders als die weißen Kollegen, die nach einer Recherche in den Townships in ihr Leben im beschaulichen Pietermaritzburg zurückkehrten, lebten die Echo-Journalisten mitten im Geschehen. Es gab Tage, an denen die Lage so angespannt war, dass wir morgens in der Redaktion nervös bangten, wenn Echo-Kollegen zu spät kamen oder überraschend wegblieben.
Was es bedeutet, im eigenen Berichtsgebiet zu leben und dennoch beherzt seine journalistische Arbeit zu tun, ist mir unvergessen geblieben. Auch in späteren Jahren als Auslandskorrespondentin schien mir der Einsatz vieler Stringer und ausländischer Kollegen ein ständiges persönliches Risiko. Es war vor allem diese Erfahrung, die mich vor 20 Jahren dazu bewogen hat, ehrenamtlich und im kleinen Kreis engagierter Kollegen am Aufbau der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen als Vorstandsmitglied mitzuwirken. Es schien mir im Kollegenkreis in Deutschland an Mitgefühl und Solidarität für Kollegen zu fehlen, die für mich bis heute die wichtigsten journalistischen Vorbilder sind.
Die jährlichen Statistiken von Reporter ohne Grenzen dokumentieren, dass es vor allem Stringer und andere ausländische Kollegen sind, die für die freie Berichterstattung den Kopf hinhalten. Sie begeben sich durch ihre Recherchen vor Ort und durch kritische Berichterstattung in Gefahr, wandern dafür ins Gefängnis oder zahlen im schlimmsten Fall für ihren journalistischen Einsatz mit dem Leben. In Deutschland erleben heute die Journalisten, die über Rechtsextremismus berichten, vergleichbare Situationen. Ihnen allen gilt unser Engagement und unsere Solidarität als Reporter ohne Grenzen.
Gemma Pörzgen war von der Gründung 1994 bis 1999 Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen und gehört dem Vorstand seit 2009 erneut an. Nach dem Volontariat bei der Frankfurter Rundschau (FR) arbeitete Pörzgen dort zunächst als Nachrichtenredakteurin mit Osteuropa-Schwerpunkt. Später war sie Südosteuropa- und anschließend Nahost-Korrespondentin für die FR und andere Printmedien. Sie lebt als freie Journalistin mit thematischem Schwerpunkt Osteuropa in Berlin.
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